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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Korrekt und fotogen, dieses „Hände hoch!“ An seiner rechten Hand fehlten drei Finger. Er war klein, und obwohl der Mützenschirm seine Augen verdeckte, erkannte ich genug von seinem Gesicht, um es der Unterwelt zuzuordnen. Er spuckte einen gesalzenen Flucht aus und sagte mit heiserer Stimme, wobei er seltsam den Mund verzog:
    „Jetzt bin ich reif!“
    Ich lachte nervös auf.
    „Hallo, Bébert“, begrüßte ich meinen Gast. „Wie geht’s?“

Das einsame Haus

    Seine Augen blinzelten unter dem Mützenschirm. Bébert erkannte mich nicht. In wenigen Sätzen frischte ich sein Gedächtnis auf. Vor Schiß war er schon kalkweiß im Gesicht. Jetzt wurde er vor Überraschung noch bleicher, wenn das überhaupt noch möglich war. Sein Mund verzog sich immer mehr, als er in einer ausdrucksstarken, aber schriftlich nicht wiederzugebenden Sprache seiner Verblüffung Ausdruck gab. Ich schob ihn zu einem Sessel, in den er sich plumpsen ließ.
    Kurz darauf hatte sich mein ehemaliger Kriegskamerad etwas erholt und trank einen Schluck Wein, den ihm sein Opfer großzügig angeboten hatte. Aber meine Kanone bedrohte ihn noch immer.
    „Ich habe nicht die Absicht, dich den Flics zu übergeben“, begann ich. „Du wirst gleich schön brav die Sachen, die du geklaut hast, an ihren Platz zurücklegen. Und dann vergessen wir diesen... äh... Schwächeanfall.“
    „Ja“, sagte er gelassen. „Danke. Ich...“
    Ersetzte zu einer Rede an, um sein Verhalten zu entschuldigen.
    „Verkauf mich nicht für dumm“, unterbrach ich ihn. „Wenn ich dir schon keine Moralpredigt halte, dann verschon du mich bitte mit deinen Märchen. Ich hab Besseres zu tun, als mir Lügen anzuhören.“
    „Wie... Wie Sie wollen.“
    „Erinnerst du dich an den Kerl, der vor unseren Augen im Stalag gestorben ist? Der, den du La Globule getauft hattest und der sich an nichts mehr erinnern konnte?“
    „Ja.“
    „Und du warst doch dabei, als er gefangengenommen wurde, oder?“
    „Ja.“
    „Würdest du die Stelle wiederfinden?“
    „Bestimmt. Aber das ist weit weg.“
    „An der Place de l’Opéra war’s nicht, ich weiß. Château-du-Loir, stimmt’s?“
    „Ja.“
    „Morgen fahren wir hin.“
    Bébert erhob keinen Widerspruch. Er kapierte nichts, war aber glücklich, so glimpflich davongekommen zu sein.
    Ich telefonierte überall herum, um Florimond Faroux zu erreichen. Als ich ihn endlich an der Strippe hatte, bestellte ich bei ihm für den nächsten Vormittag zwei Fahrkarten mit Platzreservierung nach Château-du-Loir. Ob er die für mich besorgen könne? ... Ja, mein guter Stern sei mir wieder erschienen. Unter meiner Fußmatte hätte ich einen alten Kameraden entdeckt, der Parrys Gefangennahme überlebt habe und mich zu dem Ort des Geschehens führen wolle. Nur mit Mühe und Not konnte ich den Inspektor davon abhalten, mir zwei seiner Schutzengel mitzugeben.
    Nachdem das erledigt war, wählte ich auf gut Glück die frühere Nummer von Louis Reboul. Ich hatte Glück.
    „Hallo“, sagte er verschlafen.
    „Hier Burma. Stellen Sie Ihren Wecker auf halb fünf. Ab fünf werden Sie in meiner Wohnung die Stellung halten. Ich muß ganz plötzlich verreisen, und da ich ein Telefongespräch aus der Provinz erwarte, muß jemand hier sein, um es anzunehmen. Sind Sie wach genug, daß ich Ihnen meine Anweisungen geben kann? Oder soll ich sie lieber aufschreiben?“
    „Nein, nein, ich bin hellwach, Chef!“ Seine Stimme war wirklich laut und fröhlich. Er freute sich wohl, daß ich ihn nicht vergessen hatte. „Schießen Sie los, ich notiere.“
    Ich sagte ihm, was er zu tun hatte.
    „Und jetzt zu uns beiden, Monsieur Bébert“, sagte ich, nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte. „Ich muß mich noch ein Weilchen aufs Ohr haun. Damit du das nicht ausnutzt, um dich zu verdrücken, werd ich dich festbinden.“
    Er protestierte, das sei nicht nett. Gab mir sogar sein Ehrenwort! Ich hörte nicht auf ihn, fesselte ihn an Händen und Füßen, legte ihn aufs Sofa und deckte ihn mit einer Decke zu. Bébert war Fatalist. Kaum daß ich das Licht ausgeknipst hatte, schlief er auch schon ein. Ich dagegen wälzte mich in meinem Bett hin und her, aufgedreht, wie ich war. Mehrmals stand ich auf, um mich zu vergewissern, daß der Schnaps, den ich für bedeutende Anlässe aufbewahrte, nicht verdampft war.

    * * *

    Ich verbrachte die Fahrt buchstäblich mit der Hand im Tabaksbeutel. Entweder stopfte ich meine eigene Pfeife, oder ich kam den dringenden Bitten meines

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