120, rue de la Gare
Kommissar Bernier ist dieser Jalome Colomers Mörder, aber Sie... Sie glauben das nicht?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Weil der Kerl so vorsichtig war. Nicht nur seine Wohnung war ordentlich aufgeräumt, sondern auch seine Brieftasche. Unwahrscheinlich, daß ein so gewissenhafter Mensch eine Pistole einfach so in der Wohnung rumliegen läßt. Ich bin überzeugt, daß zwischen Mitternacht und halb vier morgens — als Bernier und ich in der Wohnung waren — noch jemand sich in Jalomes Zimmern aufgehalten hat.“
„Haben Sie Beweise dafür?“
„Nur Vermutungen.“
„Und wer war Ihrer Meinung nach der geheimnisvolle Besucher?“
„Colomers Mörder, der Mann, der mir Jalome auf den Hals gehetzt hat. Ich nehme an, daß er ganz in der Nähe des Pont de la Boucle gewartet hat. Als er merkte, daß sein verlängerter Arm nicht zurückkommt... Nein... Besser noch, er hat einen Körper ins Wasser klatschen hören, und als er Marc und mich gesund und munter an seinem Versteck vorbeikommen sieht, bekommt er Angst. Er weiß nicht genau, ob ich viel oder wenig weiß. Was er aber ganz genau weiß, ist, daß früher oder später Jalomes Wohnung durchsucht wird. Er geht in die Wohnung seines Komplizen und beseitigt kompromittierende Papiere, die ihn verraten könnten. Nur die Mordwaffe von Perrache läßt er zurück, übrigens ziemlich stümperhaft versteckt. Die Polizei soll glauben, Jalome sei Colomers Mörder. Die Waffe läßt keine Rückschlüsse auf den wirklichen Besitzer zu. Ausländisches Fabrikat, heimlich in die unbesetzte Zone geschmuggelt, ebenso heimlich gekauft. Der Täter kann sie also ohne Gefahr loswerden.“
„Himmel, Arsch und Zwirn!“ fluchte Faroux. „Was tun Sie eigentlich in Paris? Wenn Ihre Überlegungen nicht nur leeres Geschwätz sind, befindet sich der Mörder in Lyon. Das liegt doch auf der Hand!“
„Man hat mich mit Gewalt nach Paris verfrachtet. Aber ich hab Gérard Lafalaise einige Anweisungen gegeben. Allerdings glaube ich, daß die Lösung des Rätsels in der besetzten Zone zu finden ist, in Paris oder...“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Intuition! Lachen Sie nicht, Faroux. Das ist nämlich genau das, was den Berniers fehlt, und deshalb schwimmen sie so hoffnungslos. Meine Intuition hat mich zum Beispiel auch veranlaßt, dem Mann ohne Gedächtnis die Fingerabdrücke abzunehmen. Ich hatte nämlich bemerkt, daß er die Abdrücke bei der Aufnahme sehr routiniert gegeben hatte. Die anderen Kameraden waren nicht so geübt darin. Nebensächlich? Genau diese Nebensachen sind es, die meine Methode so erfolgreich machen.“
„Zusammen mit der Mißhandlung von Zeugen...“
„Warum nicht? Gehört alles zu meiner Methode! Wo war ich stehengeblieben?“
„Sie wollten mir gerade die Gründe nennen, warum die Lösung des Falles hier in der besetzten Zone zu finden ist.“
„Ah ja. Also, erstens meine Intuition. Dann die Tatsache, daß Colomer die Demarkationslinie überschreiten wollte. Ich habe keine Sekunde geglaubt, daß er fliehen wollte. Das war Kommissar Berniers Idee. Wenn Colomer rausgekriegt hat, daß Carhaix eigentlich Jalome war, das heißt ein Ex-Komplize von Jo Tour Eiffel und Villebrun, hätte er nur die Polizei informieren müssen und wär aus dem Schneider gewesen. Übrigens habe ich nicht das Gefühl, meine Zeit in unserer guten alten Metropole zu vergeuden. Immerhin konnte ich hier den Mann ohne Gedächtnis identifizieren und mir Hélène Chatelain aus der Nähe ansehen.“
„Welche Rolle spielt denn Ihrer Meinung nach Hélène?“
„Hab sie heute morgen gesehen. Mein Eindruck ist, daß sie mit dieser Sache nicht das Geringste zu tun hat. Nun kann ich mich natürlich täuschen. Deswegen halte ich’s für besser, sie weiter beschatten zu lassen. Aber ich fürchte, es war zu spitzfindig von mir, Hélènes Adresse eine Bedeutung zu geben, die sie nicht hat. So enttäuschend das auch für mich ist: Meine Gleichung 120, rue de la Gare = 60, rue de Lyon haut vermutlich nicht hin! 120, rue de la Gare ist eben nichts anderes als 120, rue de la Gare. Eine zu einfache Feststellung für meinen findigen Kopf. Und es herrscht in Frankreich nicht grade Mangel an diesem Straßennamen! Wohl in jeder geschlossenen Ortschaft gibt es eine Rue de la Gare. Was den Vornamen Hélène betrifft — Parrys Sterbenswörtchen sozusagen — , so war es ebenso voreilig von mir, dabei an meine Sekretärin zu denken.“
„Trotzdem werd ich sie weiter überwachen lassen“, knurrte der
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