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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Inspektor.
    Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Diese Flics sind wirklich alle gleich. Je falscher die Spur scheint, desto verbissener verfolgen sie sie!
    Wir saßen eine Weile schweigend da. Faroux hatte völlig vergessen, daß er nur ein paar Minuten Zeit für mich hatte. Schließlich brach ich das Schweigen.
    „Könnten Sie mir eine Generalstabskarte für die Gegend um Château-du-Loir besorgen?“ fragte ich. „Das entsprechende Büro der Armee ist geschlossen, und ich bin den ganzen Nachmittag vergeblich deswegen rumgerannt.“
    „Morgen kann ich Ihnen eine besorgen. Wozu brauchen Sie die Karte?“
    „Mir geistert schon einige Zeit eine Idee im Kopf rum. Deswegen hab ich auch nicht versucht, meinen Aufenthalt in Lyon zu verlängern. Ich will mich in der Gegend umsehen, wo der 6. Pioniertrupp Georges Parry aufgegabelt hat. Vielleicht finde ich ja irgendwelche Indizien. Eine Rue de la Gare, zum Beispiel... Jedenfalls glaube ich, daß sich die Nachforschungen lohnen.“
    „Der Meinung bin ich auch. Soll ich Ihnen dabei behilflich sein? Ich könnte mit dem Chef reden...“
    „Immer mit der Ruhe. Ich werd erst mal alleine hinfahren und feststellen, wo genau Parry in Gefangenschaft geriet. Falls das überhaupt möglich ist...“
    „Ihre Anhaltspunkte sind eher dürftig.“
    „Ich habe dieses Foto.“
    „Glauben Sie wirklich, daß die Dorfbewohner alle Soldaten wiedererkennen, die durch ihr Kaff marschiert sind?“
    „Parry war kein Soldat. Ein Soldat, der sich Zivilklamotten anziehen will, schmeißt als erstes seine Uniform weg und nicht seine Unterwäsche! Ich glaube eher, daß man Parry eine Uniform angezogen hat. Aus welchem Grund, weiß ich nicht. Die Sache ist so klar wie dicke Tinte, nicht wahr? Hab mich schon lange nicht mehr mit einer solchen Denksportaufgabe rumschlagen müssen. Eine harte Nuß für einen ehemaligen Kriegsgefangenen mit angeschlagener Gesundheit. Aber vielleicht finde ich ja den Anfang des Ariadnefadens, wenn ich in der Gegend von Château-du-Loir rumschnüffle und die Geduld nicht verliere.“
    Faroux schüttelte den Kopf.
    „Sie übernehmen da eine undankbare Aufgabe“, stellte er fest. „Ich vertraue meinem guten Stern“, erwiderte ich und stand auf. „Dem Stern von Dynamit-Burma. Stammt noch aus der Vorkriegszeit.“
    Mein Freund sah mich wortlos an. Sein Blick drückte aus: In diesem Stadium ist es besser, ihm nicht zu widersprechen. Er gab mir die Hand, zog sie aber plötzlich zurück, so als sei ihm plötzlich etwas eingefallen.
    „Ihr Waffenschein!“ rief er. „Hier, ich habe ihn besorgt.“
    „Vielen Dank“, sagte ich lachend. „Hab blind auf Sie vertraut. Fassen Sie mal in meine Tasche!“
    „Sind Sie verrückt?“ rief der Inspektor. „Mit ‘ner Kanone rumzulaufen...“
    „Es hat keiner gemerkt“, sagte ich. „Und jetzt...“ Ich schlug auf den Waffenschein. „...kann es ruhig jeder merken.“
    „Ihr guter Stern, was?“
    „Ja, natürlich!“
    Am Seineufer tanzten die ersten Schneeflocken und kündigten ein Postkarten-Weihnachten an. Ich floh in die Metro.
    Auch wenn Florimond Faroux an der Macht meines guten Sterns zweifelte, so zeigte sie sich doch schon eine halbe Stunde später in Gestalt eines sympathischen Einbrechers, der unerwartet, aber rechtzeitig bei mir zu Hause auftauchte.

    * * *

    Ich habe nicht die Angewohnheit — vor allem, wenn ich erst spät nach Hause komme — , singend die Treppe hinaufzugehen wie z. B. mein Freund Emile. Zum Glück... denn sonst hätte sich mein nächtlicher Besucher schnell aus dem Staub gemacht, und ich hätte ihn nicht mehr erwischt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch meinen Gummisohlen ein Loblieb singen.
    Meine Wohnungstür stand einen Spaltbreit offen. Ein schwacher Schein drang aus dem Innern. Die Lichtquelle war eine Blendlaterne, die auf meinem Schreibtisch stand. Daneben konnte ich einen Mann erkennen, der sich an dem Schloß der Schublade zu schaffen machte.
    Die Kanone in der Hand, ging ich in meine Wohnung, schlug die Tür heftig zu und knipste das Licht an.
    „Völlig nutzlos, sich mit dem Schloß abzuquälen“, sagte ich. „In der Schublade liegen nur unbezahlte Rechnungen.“
    Der Mann schreckte hoch, ließ sein Werkzeug fallen und drehte sich um, weiß wie die Wand. Auf dem Boden lag ein prallgefülltes Bündel, wahrscheinlich die Beute von Streifzügen durch Wohnungen, deren Bewohner sich zum großen Teil in der unbesetzten Zone aufhielten. Langsam hob der Mann die Arme.

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