120, rue de la Gare
Reisebegleiters nach. Schließlich fragte ich ihn etwas ungehalten, ob er’s nicht wie alle Raucher machen und sich Tabak oder Zigaretten kaufen könne.
„Von welchem Geld?“ jammerte er und holte nach längerem Suchen zwei Francs aus seiner Tasche. Das war alles, was von seinem Entlassungsgeld übriggeblieben war.
„Dann sammle Kippen auf“, riet ich ihm.
Er antwortete, das gehe ihm zwar nicht gegen die Ehre, aber der Gang eines Zuges sei kein Boulevard.
Die ganze Zeit über führten wir so intelligente Gespräche. Ich seufzte erleichtert auf, als wir in Château-du-Loir ankamen.
In einem zweitklassigen Hotel mietete ich ein Zimmer mit zwei Betten. Bébert machte gar keinen so schlechten Eindruck. Ich hatte ihm einen Mantel geliehen, der ihm zwar zu lang, aber weniger abgetragen war als sein eigener. Auch sein schmieriges Soldatenkäppi hatte er gegen meine Baskenmütze eingetauscht. Außerdem hatte er sich rasiert. Seine einzige angsterregende Eigenschaft war nur noch, daß er beim Sprechen den Mund verzog. Aber da er nicht viel sprach...
Bevor wir hinaus aufs freie Feld gingen, teilte ich Reboul telefonisch meine neue Adresse mit. Beim Hotelbesitzer erkundigte ich mich nach einer Rue de la Gare. Ich erhielt eine negative Antwort... „Und jetzt geht’s los“, sagte ich zu Bébert und schlug ihm aufmunternd auf den Rücken. „Hier, das Päckchen Zigaretten gehört dir, sobald wir die genaue Stelle gefunden haben.“
Er stellte sich mitten auf die Straße und versuchte sich zu orientieren. Angestrengt verzog er das Gesicht. Wir gingen in Richtung Südwesten.
Es wehte ein frischer, ziemlich unangenehmer Wind. Der graue Himmel verhieß baldigen Schneefall. Die Bäche waren mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Unsere Schritte hallten auf der gefrorenen Erde wider. Die Wäldchen mit ihren schwarzen, kahlen Bäumen, aus denen hin und wieder Raben aufflogen, ähnelten von weitem riesigen Reisigbündeln, die mitten auf dem Feld liegengelassen worden waren. Wie sehr unterschied sich die trostlose Landschaft von dem heiteren Bild, das dieselbe Gegend unter der Junisonne bieten mußte! Würde Bébert sich erinnern?
Meine Zweifel wurden immer größer. Die Zeit verstrich, aber mein Einbrecher-Führer stieß nicht den fröhlichen Schrei aus, der ihn in den Besitz einer prächtigen Schachtel Zigaretten bringen würde. Die Nacht drohte uns zu überraschen. Mit eiskalten Füßen, Händen und Gesichtern kehrten wir zu unserem Hotel zurück, wo uns eine heiße Kohlsuppe willkommen hieß. Ich gab Bébert ein paar Zigaretten aus „seiner“ Schachtel. Er hatte sie sich redlich verdient. Schließlich war es nicht seine Schuld, daß er die gesuchte Stelle noch nicht gefunden hatte.
Bevor wir am nächsten Morgen unsere Suchaktion fortsetzten, stärkten wir uns mit einem kräftigen Frühstück. Das Landleben hatte was Gutes. Hier spürte man die Rationierungsmaßnahmen nicht so stark. Der Wirt war um seine unerwarteten Gäste sehr besorgt. Ob der Wein gut, das Brot nicht zu schwarz sei, alles in allem, ob wir zufrieden seien, fragte er uns immer wieder.
„Wunschlos glücklich“, antwortete ich mit vollem Mund. „Das heißt, einen Wunsch hab ich wohl noch: Ich suche einen Mann, mit dem ich in Kriegsgefangenschaft war. Der Vogel ist Millionär geworden und hat keine Ahnung davon. Sie müssen wissen“, fügte ich in halb vertraulichem Ton hinzu, „ich bin von der Familie mit den Nachforschungen beauftragt worden.“
Ich zeigte dem Wirt das Foto der Nr. 60 202. Er sah es sich aufmerksam an.
„Und er soll hier in der Gegend gewohnt haben?“ fragte er zweifelnd.
„Ich glaub, ja. Kennen Sie ihn nicht?“
„Nein. Aber ich bin auch erst seit drei Monaten hier. Vater Combettes hätte Ihnen mehr erzählen können.“
„Wer?“
„Vater Combettes, ein Wilderer. Kannte jeden im Umkreis von zehn Kilometern.“
„Und wo ist er?“ fragte ich aufgeregt.
Der Wirt lachte laut auf.
„Auf dem Friedhof... und zwar nicht als Wärter!“
Enttäuscht fluchte ich vor mich hin, als Bébert plötzlich schrie:
„Ich hab’s!“
Er ließ seine Gabel fallen und verzog seinen Mund zu einer wahrhaft unglaublichen Grimasse.
„Sie können die restlichen Zigaretten rausrücken! Combettes... La Ferté-Combettes. Genau! Hab den Namen auf einem Ortsschild gelesen, vielleicht zehn Minuten vor der Gefangenen... Gefangenn...“
„Gefangennahme“, half ich Bébert auf die Sprünge. Dann fragte ich unseren Wirt: „Gibt es in
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