120, rue de la Gare
noch in dem Landhaus befunden hatten, und zahlte ihnen den Lohn für die nächsten drei Monate aus. Monsieur Péquet habe keine Verwendung mehr für sie, er sei nach Südfrankreich abgereist. Das war gut zu verstehen. Der Geschützlärm kam immer näher, und der Schloßherr selbst hatte sich schon vor einiger Zeit aus dem Staub gemacht.
Vater Mathieu tat sein Bestes, um mir den Mann, der Monsieur Péquets Angelegenheiten geregelt hatte, zu beschreiben. Aber leider gehörten genaue Personenbeschreibungen nicht zu seiner Stärke. Wir verabschiedeten uns und gingen zurück in unser Hotel. Auf dem Weg summte ich fröhlich vor mich hin, obwohl mir die Durchsuchung des Landhauses ein ziemliches Grauen eingeflößt hatte.
Nachdem ich mich nach den Abfahrtszeiten der Züge Richtung Paris erkundigt hatte, genehmigten wir uns eine Mahlzeit, die Nachmittagsimbiß und Abendessen in einem war. Dann rechnete ich mit Bébert ab. Ich gab ihm zweihundert Francs. Er hatte sie sich wirklich verdient. Meine Freigebigkeit verblüffte ihn. Er unterbrach das Auskratzen der Kippen, von denen er eine ganze Tüte voll gesammelt hatte...
...und raffte sich zu einer netten Geste auf: Er schenkte mir eine Handvoll Kippen. Großzügigkeit gegen Großzügigkeit.
Ich nahm das Geschenk lachend an.
Rue de la Gare
Kurz vor der Ausgangssperre war ich wieder in meiner Pariser Wohnung. Der treue Reboul hielt neben dem Telefon Wache, wobei er auf einem Zahnstocher kaute.
„’n Abend, Chef“, sagte er und gab mir die linke Hand, die einzige, die ihm noch geblieben war. „Ich habe in Ihrem Hotel in Château-du-Loir angerufen, aber Sie waren grade weg.“
„Ah! Ist der Anruf aus der Provinz gekommen? Wie lautet die Botschaft?“
„Ihr Verbindungsmann ist mißtrauisch, was? Hab das Gespräch mitgeschrieben. Ich lese es Ihnen vor, mein Gekritzel können Sie sowieso nicht entziffern. Also: ,Hallo! Monsieur Nestor?“ — ,Nein, Monsieur Burma ist im Moment nicht da. Sind Sie Gérard Lafalaise?“ — ,Ja.“ — ,Hier spricht Louis Reboul von der Agentur Fiat Lux, abkommandiert, Ihren Anruf entgegenzunehmen.“ — ,Ah, gut. Sagen Sie Monsieur Nestor, unser Freund hat sich von seinem Unfall erholt. War wohl nur ein leichter Sturz. Er wird den Nachtzug nach Paris nehmen. Wahrscheinlich kommt er morgen früh um halb zehn, zehn an... falls kein Unglück passiert.“
„Ausgezeichnet. Sie werden den Mann vom Zug aus beschatten und mir seine Adresse mitteilen. Ich geb Ihnen ein Foto von ihm.“
Ich öffnete die Schublade meines Schreibtischs und reichte meinem Mitarbeiter einen Zeitungsausschnitt.
„Ich hab den Artikel aufbewahrt, weil das Foto so scharf ist.“
„Gesegnet sei die Sammelwut“, sagte Reboul. „Übrigens, Inspektor Faroux hat ebenfalls angerufen. Kurz nach meinem Anruf in der Sarthe . Hab ihm gesagt, Sie säßen wahrscheinlich grade im Zug. Sie sollen ihn anrufen, sobald Sie zurück sind.“
„Donnerwetter!“ rief ich lachend. „Ist der aber neugierig auf das Ergebnis meiner Expedition! Er kann warten. Ich muß erst mal schlafen. Sollten Sie auch tun! Morgen früh müssen Sie die Augen aufsperren...“
Ich schlief wie ein Murmeltier. Am nächsten Morgen ging mein Agent zum Bahnhof der P.L.M . und ich in die Bibliothèque Nationale. Dort blätterte ich in vergilbten Zeitungen, vor allem in Crime et Police. Diese hervorragende Zeitschrift liefert zahlreiche Details über mehr oder weniger berühmte Verbrecher. Äußerst zufrieden ging ich wieder nach Hause. Vor meiner Wohnungstür wartete Louis Reboul, der alles andere als zufrieden war.
„Ich bin dem Kerl gefolgt“, begann er kleinlaut. „Aber in der Metro ist er mir entwischt. Verdammt, Chef, ich tauge zu nichts mehr. Dabei ist mir doch bloß ein Arm amputiert worden und nicht das Hirn... Ich hätte...“
Auf meine Bitte hin, sich klarer auszudrücken, erzählte er mir was von einem Zehnfrancsschein und Wechselgeld. Die Kontrolleurin hatte ihn am Metroschalter aufgehalten. Die verlorene Zeit war für andere gewonnene Zeit. Als er auf den Bahnsteig kam, war der Zug mit unserem Mann schon längst weg.
„Ich bin ein Idiot... ein Idiot bin ich...“ schimpfte er mit sich selbst. „Ich hätte mir vorher ein Fahrscheinheft besorgen sollen. Darauf wär sogar ‘n fünfjähriger Knirps gekommen
„Regen Sie sich ab“, tröstete ich ihn und fuhr mir durch die ungekämmten Haare. „Sicher, ich freu mich nicht grade tot, aber... Im allgemeinen freß ich keine
Weitere Kostenlose Bücher