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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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wissenschaftliche Argumentation. Aber das reicht nicht. Wir müßten eine Kommission in dieses Landhaus schicken, die eine genaue Untersuchung vornimmt und dieses Ehepaar verhört. Dafür aber müssen wir den Chef einweihen. Im Ernst, Burma, wir können nicht mehr lange heimlich arbeiten. Während Ihrer Abwesenheit ist nämlich noch was Neues passiert. Deswegen bin ich so schnell wie möglich zu Ihnen gerannt. Aber Sie haben mich ja nicht zu Wort kommen lassen... na ja, Ihr Bericht war auch ziemlich fesselnd.“
    „Und was ist das Neue?“ unterbrach ich ihn.
    Seine Schnurrbarthaare sträubten sich.
    „Glauben Sie eigentlich immer noch an die Unschuld Ihrer Sekretärin? Ich fürchte leider, daß Ihre anfängliche Vermutung richtig war. Gestern ist nämlich Mademoiselle Chatelain zwar nicht zur Arbeit gegangen, aber sie hat das Haus verlassen. Unser Mann ist ihr gefolgt. An der Porte d’Orléans hat sie nicht den Bus genommen — der war überfüllt — , sondern hat ein Fahrrad-Taxi rangewinkt. Unser Mann hat ganz deutlich gehört, wie sie zu dem Fahrer sagte: ,Zur Rue de la Gare.’ Das Ding hat sich dann in Richtung Montrouge in Bewegung gesetzt. Unser Mann konnte nicht einfach ein Fahrrad beschlagnahmen, wie er’s bei einer offiziellen Beschattung hätte tun können. Also ist er wieder in die Rue de Lyon gegangen und hat mir den Vorfall gemeldet. Spätabends ist Mademoiselle Chatelain nach Hause gekommen. Ich hab noch keine weiteren Schritte eingeleitet. Wollte erst hören, wie Sie darüber denken. Aber ich sag’s Ihnen, ich werde etwas unternehmen!“
    „Ich auch“, sagte ich aufgeregt. „Wir zusammen sind wie zwei Wundertüten: an jeder Ecke ‘ne Überraschung. Geben Sie mir bitte noch ein oder zwei Tage, bevor Sie Ihren Chef informieren... Und jetzt auf zu dem geheimnisvollen Fräulein! Aber schnell!“
    „Mein Wagen steht unten“, sagte der Inspektor.
    „Ein... Polizeiwagen?“ erkundigte ich mich.
    „Na klar!“
    „Vor meiner Tür? Wollen Sie mich endgültig bei meiner Concierge in Verruf bringen?“
    Hélène Chatelain war nicht zu Hause. Die Concierge in der Rue de Lyon meinte, sie habe sicher ihren letzten freien Tag genutzt, um Besorgungen zu machen. Wir gingen in das Bistro gegenüber. Einer von Faroux’ Leuten wartete auf seine Ablösung.
    „Martin ist der Kleinen gefolgt“, sagte er. „Ist wohl bisher nichts von Bedeutung passiert, sonst hätte er angerufen.“
    Uns blieb nichts anderes übrig, als uns in Geduld zu üben. Faroux fuhr seinen Wagen in eine Seitenstraße, und wir tranken ein paar Bierchen. Der Alkoholgehalt dieses Gebräus gab keinen Anlaß zu Optimismus.
    Um acht Uhr — draußen war es schon stockdunkel — kam ein Mann ins Bistro, unverkennbar ein Flic. Faroux überfiel ihn sofort mit Fragen. Martin war der „Kleinen“, wie auch er Hélène nannte, quer durch Paris gefolgt, unter anderem zum Louvre und zu den Galeries. Dem Beamten sah man den Widerwillen an, den die eleganten Kaufhäuser in ihm hervorgerufen hatten.
    „Dann wollen wir mal“, sagte ich zu Faroux. „Und wenn ich ,die Kleine’ ein wenig durchschüttle, sehen Sie am besten weg.“
    Als ich meinen Namen nannte, öffnete Hélène ohne Zögern die Tür. Allerdings war sie überrascht, daß ich sie nicht alleine besuchte. Klug, wie sie ist, kapierte sie sofort, daß Faroux kein elegischer Poet war.
    „Hören Sie“, ging ich ohne Einleitung zum Angriff über. „Spielen wir mit offenen Karten! Seit ein paar Tagen werden Sie von der Polizei überwacht... auf meine Veranlassung hin. Wir können uns später gerne darüber streiten, ob das richtig war oder nicht. Jetzt werden Sie erst mal ohne Ausflüchte auf meine Fragen antworten. Sie werden bemerken, daß ich meine Pfeife nicht kaltwerden lasse. Das heißt: Ich bin verdammt aufgeregt.“
    Hélène fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. Sie wich zurück und legte ihre Hand grazil-erschrocken auf ihre schwer atmende Brust.
    „Sie... Chef...“ stammelte sie, „Sie... Sie lassen mich beobachten? Und warum?“
    „Ich stelle im Moment die Fragen, Sie antworten! Ihre Grippe ist doch kuriert, oder? Nehme ich jedenfalls an, denn gestern haben Sie einen kleinen Ausflug gemacht. Ich kenne nicht das genaue Ziel, aber ich weiß, daß Sie in der Rue de la Gare waren. Nun, die Straßen dieses Namens interessieren mich seit einiger Zeit.“
    Während ich sprach, sah ich meiner ehemaligen Sekretärin tief in die Augen. Außer der Verwirrung, die unser Überfall

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