120, rue de la Gare
gestiftet hatte, konnte ich dort nichts anderes entdecken.
„Wegen Bob“, sagte sie.
„Ja, wegen Bob.“ Ich lachte. „Komisch, daß Sie sofort wissen, worum’s geht!“
„Ich habe Sie nicht gefragt, ob es um Bob geht.“ Ihre Stimme war laut, fast feindselig. „Ich habe gesagt, daß ich wegen Bob dort war.“
„Noch besser! So verlieren wir keine unnötige Zeit. Sie waren also wegen Bob in der Rue de la Gare?“
„Ja.“
„Wo?“
„In Châtillon.“
„Nr. 120?“
„Nein. Ich weiß die Hausnummer gar nicht... hab sie nie gekannt. Eine Villa, die Bobs Eltern gemietet haben. Ganz am Ende der Straße.“
„Sie haben Bobs Eltern besucht, in der Rue de la Gare Nr. hab-ich-vergessen?“
„Ja.
„Sie sollten sich nicht über mich lustig machen, Hélène“, drohte ich. „Sie kennen mich doch gut genug, um zu wissen, daß ich das nicht mag. Ich hab mir die Adresse von Bobs Eltern notiert. Sie hatten ihm eine Karte nach Lyon geschrieben. Es ist die Rue Raoul-Ubac, Villa des Iris.“
„Wenn Sie mich loslassen würden, könnte ich Ihnen das vielleicht erklären. Der letzte Abschnitt der Rue de la Gare heißt seit kurzem Rue Raoul-Ubac. Bis gestern wußte ich das auch noch nicht. Vor dem Waffenstillstand war das noch die Rue de la Gare.“
All das hörte sich absolut glaubwürdig an. Ich steckte eine Pfeife nach der anderen in Brand. Meine Erregung hatte ihren Höchstpunkt erreicht.
„Und was wollten Sie bei Bobs Eltern?“
„Ich wollte den lieben armen Alten einen Beileidsbesuch abstatten. Es war nicht sehr lustig. Sie hatten die amtliche Nachricht vom Tod ihres Sohnes bekommen. Ein schwerer Schlag, vor allem für Vater Colomer. Es hat ihn so schrecklich mitgenommen, daß er sich ins Bett legen mußte und nicht zur Arbeit gehen kann. Seit kurzem ist er als Nachtwächter beschäftigt, bei der SADE.“
Ich griff Hélène an die Bluse und schüttelte sie.
„Was haben Sie da gesagt?“ schrie ich.
„Hören Sie mal, Chef! Pfoten weg!“
Ich schüttelte sie noch heftiger.
„Welchen Namen haben Sie gerade genannt?“
„Lassen Sie mich los! Durch die Gefangenschaft sind Ihre Manieren nicht grade besser geworden.“
Ich ließ Hélène los.
„Colomers Vater arbeitet bei der SADE“, wiederholte sie und brachte ihre Bluse in Ordnung. „Eine Gesellschaft, die uns mit irgend etwas versorgt. Womit, weiß ich nicht..
„Ist das weit von dem Haus der Colomers?“
„Ziemlich, aber einfach zu erreichen. Liegt auch in der Rue de la Gare.“
„Nr. 120?“
„Was soll das immer mit der Nr. 120? Ist das ein Mädchenpensionat? Nein, ich weiß nicht, ob das die Nr. 120 ist.“
„Ist die Rue de la Gare denn lang genug für so eine hohe Hausnummer?“
„Ich glaube ja.“
„Los“, rief ich Faroux zu. „Hélène scheint die Wahrheit zu sagen. Sehen wir uns diese unheil- und geheimnisvolle 120, rue de la Gare an! Jetzt wissen wir ja, wo das Haus steht.“
„Monsieur Burma “, sagte meine Ex-Sekretärin, „lassen Sie sich hier nicht wieder blicken, ohne eine handfeste Erklärung samt Entschuldigung zur Hand zu haben.“
Florimond Faroux nahm mir die Antwort ab.
„Inspektor Faroux von der Kripo“, stellte er sich vor und zeigte seinen Ausweis. „Ich habe keine Veranlassung, Ihnen zu glauben. Ich möchte Sie bitten, bis auf weiteres in Ihrer Wohnung zu bleiben. Außerdem weise ich Sie darauf hin, daß Ihnen meine Beamten überallhin folgen.“
Noch ein einsames Haus
„So langsam kommt Licht ins dunkel“, bemerkte ich, als wir wieder in dem Renault der Kripo saßen. „Colomer geht mit einem verschlüsselten Text in die Bibliothek und liest in de Sades Werken. Die Lektüre liefert ihm die Nr. 120. Am selben Tag erhält er eine Karte von seinen Eltern mit der Nachricht, daß sein Vater beim Wasserwerk, abgekürzt SADE, arbeitet. Bob weiß, daß sich die Gesellschaft in der Rue de la Gare befindet. Schließlich ist er dort geboren.“
„Wie hat er die genaue Adresse rauskriegen können?“ brummte Faroux ungläubig.
„Wegen Lion, was er falsch geschrieben hat — er ist erblich vorbelastet. Es mußte Lion heißen, und nicht Lyon. Der Text lautet: Vom Lion (le Lion de Belfort!) kommt man über den göttlich-teuflischen Marquis (SADE!) zu dem großartigsten seiner Werke (120 Tage!). Das Haus, zu dem wir jetzt fahren, liegt, von Paris aus gesehen, hinter dieser Wassergesellschaft SADE. Hoffentlich machen wir dort genauso interessante Entdeckungen wie ich gestern in der Sarthe. Es muß
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