120, rue de la Gare
der Brust, neben sich eine Taschenlampe, lag eine junge Frau mit geschlossenen Augen. Sie trug einen beigen Regenmantel über einem Kostüm. Das bunte Kopftuch war von der rotbraunen Haarpracht gerutscht. Die Frau war leichenblaß. Es war das Mädchen vom Bahnhof Perrache, das geheimnisvolle Mädchen im Trenchcoat, dessen Foto ich in Georges Parrys Landhaus gefunden hatte.
* * *
„Sie lebt“, sagte Faroux und richtete sich wieder auf. „Das Herz schlägt nur schwach, aber sie lebt. Am besten, wir bringen sie ins Krankenhaus.“
„Eine intelligente Idee“, sagte ich ironisch. „Auch wenn Sie von der Kripo sind, kriegen wir dadurch nichts als Scherereien. Wir sollten sie lieber zu einem Arzt bringen, der die Klappe halten kann und uns nicht daran hindert, ihr so schnell wie möglich ein paar Fragen zu stellen.“
Der Inspektor lachte.
„Haben Sie so was in Ihrem Bekanntenkreis?“ fragte er. „Allerdings.“
Ich blätterte in meinem Notizbuch, in dem ich die Adresse von Dr. Dolcières notiert hatte.
„Villa Brune, ganz in der Nähe“, murmelte ich. „Am Ende der Rue des Plantes.“
„Also los! Was sagt die Tasche, Antoine?“
„Es handelt sich um Hélène Parmentier, Studentin“, sagte der Beamte, der inzwischen die Handtasche der Halbtoten untersucht hatte.
„Na ja“, knurrte der Inspektor, der für Studenten nicht viel übrig hatte.
„Die Tasche können wir uns später noch genauer ansehen“, entschied ich. „Im Moment gibt’s Wichtigeres...“
„Aber das ist doch höchst interessant“, widersprach Faroux.
„Ich gäbe den gesamten Tascheninhalt für ein Plauderstündchen mit dem Mädchen. Wenn wir noch lange warten, können wir sie gleich in die Morgue bringen. Wir müssen uns beeilen. Sobald sie auch nur ein Auge aufmacht, setze ich alle meine Verführungskünste ein, um sie zum Reden zu bringen. Das verspreche ich Ihnen!“
„Sie sind mir ‘n schöner Don Juan“, bemerkte Faroux lachend.
Wir brachten unser hübsches Paket hinunter in den Wagen. Antoine blieb als Wachposten in dem geheimnisvollen Haus zurück. Der Inspektor setzte sich ans Steuer. Als er den Wagen anließ, gaben die Sirenen Entwarnung.
Ich saß mit der Bewußtlosen im Fond des Wagens. Da ich etwas Hartes an meiner Hüfte spürte, faßte ich in ihre Manteltasche und hielt eine Automatic in der Hand. Ich schnupperte an dem Lauf. Nein, diese Waffe war in letzter Zeit nicht benutzt worden. Ich hatte sie auf dem Bahnhof in der Hand des Mädchens gesehen. Aber ich wußte schon seit langem, daß die Doppelgängerin von Michèle Hogan nicht geschossen hatte. Ich steckte die Waffe ein.
Kurz darauf hielten wir vor der vornehm-eleganten Villa meines Ex-Mitgefangenen. Ein Butler öffnete uns die Tür. Er war sich nicht sicher, ob sein Chef zu Hause sei.
„Sagen Sie ihm, Nestor Burma ist hier!“ schrie ich ihn ungeduldig an. „Ich muß ihn dringend sprechen!“
„Zusammen mit Polizeiinspektor Faroux“, schickte Florimond hinterher.
Der Butler verschwand. Kurz darauf war er zurück. Nein, leider, Monsieur sei nicht zu Hause.
Ich stieß den Mann zur Seite und stürmte, gefolgt von Faroux, zu der Tür, durch die der Lügenbutler getreten war. Ein Mann in einem teuren Morgenmantel stand vor seinem Schreibtisch und öffnete gerade eine Schublade.
„Vorsicht, Faroux!“ rief ich. „Er will Ihnen den Schnurrbart ansengen.“
Ich stürzte mich auf Dorcières und schlug ihm mit voller Wucht aufs Handgelenk. Sein Revolver fiel auf den Teppich. Zur Vorsicht kickte ich die Waffe außer Reichweite.
„Hoffentlich haben Sie einen Waffenschein für den Ballermann“, sagte ich. „Der Mann da ist nämlich ein Flic.“
„Was soll das?“ schnauzte Faroux gereizt.
„Bestimmt nichts Böses. Ein kleines Mißverständnis, das Monsieur zweifellos erklären kann. Aber vertagen wir das! Wir haben nämlich eine Schwerverletzte mitgebracht, Monsieur Dorcières“, wandte ich mich an den Doktor. „Die wollten wir Ihren geschickten Händen anvertrauen.“
Hubert Dorcières wischte sich mit der Hand über die Augen, als sei er aus einem Traum erwacht. Sein Mund zuckte.
„Ent... Entschuldigen Sie“, stammelte er. „Ich habe Sie nicht gleich erkannt, Burma. Entschuldigen Sie meine Reaktion... Ich hab die Nerven verloren... Bin wohl überarbeitet. Und wie Sie hier hereingestürzt sind... Sie beide... in den dicken Mänteln... Ich hab Sie für falsche Polizisten gehalten. Sie haben doch sicher von diesen üblen Burschen
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