1208 - Leichenwelten
andere verschlingen zu können, sein Maul aufriss und andere Menschen einfach wegschnappte. Der Fluss selbst war nicht zu sehen, weil ein breiter Streifen Land zwischen ihm und den Hütten lag.
Eine Uferaue, eine Wiese, die mit hohem Gras und Buschwerk bewachsen war.
Zwischen einigen Containern waren Leinen gespannt worden, an denen Wäschestücke hingen. Da es nicht besonders windig war, bewegten sie sich kaum.
Moses King trug eine schwarzweiß karierte Jacke, ein dunkles T-Shirt und eine enge Hose aus Kunstleder. Er hatte sich an uns gewandt, weil er schlimme Dinge befürchtete.
Mittlerweile waren wir in London bekannt geworden. Da Moses King schon von Berufs wegen einen guten Draht zur Polizei besaß, lag es auf der Hand, dass er sich bei bestimmten Problemen an die Kollegen wandte, und die hatten ihn an uns verwiesen.
Es ging um Voodoo! Angeblich, denn den Beweis hatten wir nicht, aber den wollte er uns an diesem Tag liefern. Es war Mittag, und über dem Gelände schwebte der Geruch von gekochtem Essen. Wir sahen sogar eine Feuerstelle. Da kochten zwei Frauen Reis in einer Schüssel.
Die eine rührte darin herum, die andere kippte Gewürze hinein. Bei gewissen Handlungen wollten sich die Menschen eben so fühlen wie in ihrer Heimat.
Die Männer standen vor den Containern, deren Türen geöffnet waren.
Menschen aus Afrika, aber auch aus Asien oder Südamerika. So genau konnte ich es nicht unterscheiden.
Man kannte Moses King hier. Man begrüßte und respektierte ihn, aber man sprach ihn nicht an. Wahrscheinlich deshalb nicht, weil sich zwei Fremde in seiner Begleitung befanden, und gegen Fremde hatte man Misstrauen.
Nur die Kinder reagierten anders. Sie liefen auf uns zu. Sie begrüßten Moses wie einen Freund, und er musste ein kleines Mädchen mit herrlichen Kulleraugen einige Male in die Höhe stemmen, wobei die Kleine vor Freude juchzte.
Auch andere Kinder mussten hochgehoben werden, und als Moses dann noch einige Süßigkeiten verteilte, da war die Freude besonders groß.
Sein Gesicht hatte einen weichen Ausdruck angenommen. Er strich über sein schon ergrautes Haar und seufzte. »Die Kinder sind am meisten zu bedauern. Sie lernen nur das Negative kennen. Da kann man ihnen schon mit den kleinsten Dingen eine große Freude machen. Sie brauchen nur in ihre Augen zu schauen, um zu wissen, was ich damit meine.«
»Stimmt«, sagte ich. »Irgendwann, so hoffe ich, wird sich das mal ändern. Dann werden die Menschen eine Chance bekommen, friedlich miteinander zu leben.«
Moses King konnte sein Lachen nicht zurückhalten. »Sind Sie ein Träumer, Mr. Sinclair?«
»Ja. Manchmal muss man ein Träumer sein. Oder einen Traum haben. Sonst können Sie das Leben vergessen. Besonders bei unserem Job, den wir tagtäglich durchziehen.«
»Da hat er Recht«, sagte Suko.
Moses winkte ab. »Ich weiß es ja. Was ich gern alles ändern möchte! Es ist zum Verzweifeln. Sie bekommen es nicht in die Reihe. Mal verhindert das die eine Seite, dann die andere, und schließlich gibt es noch Behörden und Verwaltungen, in denen ich ab und zu einen Wutanfall bekomme, wenn ich mit den Typen dort diskutiere. Ich bin fünfunddreißig Jahre alt und habe schon graue Haare bekommen. Den Grund können Sie sich leicht vorstellen.«
»Genau.«
»Kommen Sie, wir ändern im Großen sowieso nichts. Kümmern wir uns um die Probleme im Kleinen, damit sie nicht zu groß werden. Im letzten Container ist es passiert.«
»Sie meinen, dass dort der Zombie steckt?«, fragte Suko.
»Ja. Davon gehe ich aus.«
»An einen Irrtum glauben Sie nicht?«
Moses schaute Suko aus seinen großen, dunklen Augen an.
»Ich würde gern an einen Irrtum glauben, denn dann wäre mir wohler. Aber ich kann es einfach nicht. Die Menschen hier wissen genau, was sie gesehen haben und können es auch interpretieren. Andere würden mich auslachen, wenn ich von einem Zombie spreche. Bei Ihnen bin ich genau richtig, und das gibt mir Mut.«
»Wenn es tatsächlich so sein sollte«, sagte ich, »dann muss es auch jemanden geben, der Menschen zu Zombies macht. Ein Zauberer, ein dunkler Priester, der mit den schwarzen Mächten auf gutem Fuß steht.«
»Theoretisch schon. Das herauszufinden, ist allerdings nicht meine Sache. Sie werden mir dabei helfen müssen, doch das ist alles noch Theorie. Lassen Sie uns gehen.«
Wir setzten uns wieder in Bewegung und blieben bereits nach wenigen Schritten stehen, weil Moses King jemandem zuwinkte.
»Komm her, Maria.«
Eine
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