1216 - Drei Ritter der Tiefe
Gespinste heran. Atlan drückte ab, und das Jaulen vermischte sich mit einer Explosion. Er feuerte die Raketenpfeilkammer leer, bis er sicher sein konnte, daß von dem Kokonwerfer nichts mehr übrig war.
Alle Vorsicht vergessend, begab er sich zu Wöleböl und berührte mit beiden Händen den ihn umhüllenden Kokon. Ein elektrisierender Schmerz durchzuckte Atlan, aber statt die Hände zurückzuziehen, verstärkte er den Druck.
Der Schmerz ebbte ab, dafür spürte er, wie etwas die Energien aus seinem Körper sog. Vor seinen Augen begann es zu flimmern, aber er sah auch, wie sich der Kokon aufzulösen begann.
Du bist stärker als die Tiefenkraft! sagte ihm sein Extrasinn. Du bist ein Aktivatorträger und ein Ritter der Tiefe.
Wöleböl fiel herab und blieb reglos auf dem Boden liegen. Nachdem sich Atlan einigermaßen regeneriert hatte, verfuhr er mit Zoke ebenso.
*
Atlan konnte weder Wöleböl noch Zoke wach kriegen; was er auch anstellte, sie blieben ohne Besinnung.
Er bettete die beiden Körper in einen Winkel an der Wand und hoffte, daß sie hier einigermaßen sicher waren. Schlimmeres als das, was ihnen widerfahren war, konnte ihnen nicht mehr passieren.
Waren sie, falls sie überlebten, endgültig zu Grauleben geworden? Und was sollte aus den vielen anderen Opfern werden, die hier festgehalten wurden? Er konnte sie nicht alle von ihren Kokons befreien.
Aber er konnte sie rächen!
Nur ruhig Blut! ermahnte sein Logiksektor. Laß dich nicht von deinen Emotionen leiten. Darauf warten die Grauen Lords nur. Sie wissen, daß dir der Tiefeneinfluß nichts anhaben kann, darum können sie dir nur mit List beikommen.
Dann antworte ich mit einer Gegenlist! dachte Atlan.
Er schritt durch die Reihen der bedauernswerten Opfer, ohne sie bewußt wahrzunehmen. Er durfte nicht hinsehen, durfte nicht an ihr schreckliches Schicksal denken. Wenn die Grauen Lords besiegt waren, würde auch ihr Leiden ein Ende haben.
„He..."
Atlan zuckte beim Klang der Flüsterstimme zusammen und brachte die Armbrust in Anschlag. Es war niemand zu sehen. Aber vor ihm lag das Ende der Lebensbank - ein Trichter, der sich über die ganze Höhe der Wand erstreckte.
„He, Hochländer, wie ist dir zumute?" flüsterte es wieder.
Die Stimme eines Grauen Lords! konstatierte sein Extrasinn. Sei auf der Hut. Laß dich nicht einschläfern.
„Wir sehen dich, und wir haben große Hochachtung vor dir." Das Flüstern schien aus dem Trichter zu kommen.
Atlan hatte seine Armbrust mit den letzten sechs Raketenpfeilen nachgeladen. Er zielte auf die nur mannsgroße Trichteröffnung und feuerte. Als die Explosionen abgeklungen waren, befand sich an Stelle des Durchlasses ein gewaltiges, ausgefranstes Loch; der halbe Trichter war in Trümmer gegangen.
„Nicht so, Hochländer", raunte es aus der finsteren Tiefe des Loches. „Du bist doch kein Barbar, sondern ein Ritter der Tiefe. Und vor dir liegt die wahre Tiefe. Hier sind wir. Komm zu uns und sieh, was die Tiefe wirklich zu bieten hat."
„Ich habe gesehen, was die Tiefe zu bieten hat", antwortete Atlan.
„Ts, ts, ts", machten zwei Stimmen im Gleichklang. „Du kennst nur die eine Seite, und die hast du aus der Perspektive des Entarteten gesehen. Du kannst dir kein objektives Urteil bilden, wenn du nicht auch die andere Seite kennen gelernt hast. Werde zu wahrem Leben, werde wie wir. Komm zu uns!"
Es war ein zweistimmiger Lockruf mit großer Suggestivwirkung.
Laß dich nicht täuschen! warnte der Extrasinn.
„Ich höre mir gerne eure Rechtfertigung an", sagte Atlan und schleuderte die nutzlos gewordene Armbrust weg. „Ich bin bereit, mich mit euch zu unterhalten. Und ich komme mit leeren Händen."
Atlan trat entschlossen und mit nach oben gekehrten geöffneten Handflächen auf das schwarze Loch zu.
„Nein! Nicht!" Die Ablehnung war nur gehaucht, ein milder Tadel für einen Unwissenden. „So kannst du nicht die Annehmlichkeiten eines Grauen Ritters kennen lernen. Du mußt dich erst frei machen von allem störenden Ballast."
Atlan wußte sofort, worauf die Grauen Lords hinauswollten, und er überlegte sich fieberhaft, ob er das Wagnis eingehen sollte.
„Ich bin in meinen Entscheidungen so frei, wie ich nur sein kann", antwortete Atlan. „Ich bin bereit, Grauleben kennen zu lernen. Aber ich möchte es nicht werden."
„Du bist „unfrei", flüsterte eine Stimme.
„Du bist den Zwängen des falschen Lebens unterworfen", raunte die andere.
„Du trägst das Symbol der Unfreiheit
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