1224 - Das Herz der Hexe
Frauen hatten es nicht gesehen. Karin hockte nach wie vor in der Ecke. Sie hatte die Hände vor ihr Gesicht gepresst, als würde sie schlimme Bilder sehen, die sie quälten.
Für mich war Amy Madson wichtiger. Bisher hatte ich noch einen gewissen Abstand zu ihr gehalten, der verringerte sich jedoch sehr schnell, als ich zwei Schritte vortrat, meinen Arm ausstreckte und ihr das Kreuz präsentierte.
Zunächst nahm Amy es nicht wahr. Dann stoppte sie abrupt mitten in der Bewegung. Mit dem nach vorn gedrückten Kopf wirkte sie wie erstarrt, und ich sah ihre Augen groß werden.
Einige Haare waren jetzt in ihr Gesicht gefallen und klebten dort fest. Der Mund bewegte sich, aber sie stieß noch kein Wort aus.
Ihre Angst nahm zu.
Es war nicht die Angst, die sie vor mir hatte, sondern vor dem Kreuz, das aus meiner Hand hervorragte und das sie einfach sehen musste. Sie drehte auch den Kopf nicht mehr zur Seite.
Der Anblick übte einen regelrechten Zwang auf sie aus.
Unwirsch bewegte sie beide Hände. Ich verstand das Zeichen, trotzdem nahm ich das Kreuz nicht weg. Bei meinem nächsten Schritt begann Amy zu schreien. Und dieses Schreien drang mir unter die Haut. Es klang so jammervoll wie das eines Kindes, das unter Schmerzen litt und zugleich den Verlust seiner Mutter beklagte.
»Weg, weg damit…!«
Das Kreuz bereitete ihr mit seinem Anblick die Qualen. Sie riss die Hände hoch, verdeckte ihr Gesicht, und das Schreien hörte trotzdem nicht auf. Es war zu einem Klagen geworden.
Der Körper zuckte. Dass Amy sich noch auf dem Kissen hielt, kam schon einem kleinen Wunder gleich. Ich wollte sie haben und holen. Jetzt musste ich es persönlich übernehmen, weil sie selbst meinen Anordnungen nicht mehr gefolgt wäre. Nur durch Amy Madson kam ich an die Hexe ohne Herz heran.
Das Kreuz blieb in meiner Faust, aus der es mit der oberen Hälfte hervorragte.
Es glühte nicht, es »brannte« nicht, es schickte auch keine Strahlen ab.
Und trotzdem drang es voll durch!
Was ich dann erlebte, ließ mir die Haare zu Berge stehen. Ich hatte nicht damit gerechnet und so etwas noch nicht erlebt.
Schuld daran trug das Kreuz, das sich bei Amy Madson auf einen bestimmten Ort und auch Gegenstand konzentrierte.
Es war ihr Herz!
Es schlug in der Brust. Es war ihr transplantiert worden, es war ein fremdes Herz, es war das Herz einer Hexe, und auch das hätte ich normalerweise nicht sehen können.
In diesem Fall schon.
In der Brust der Amy Madson glühte es auf!
***
Suko hatte seinen Freund John Sinclair eigentlich bis zum Ziel folgen wollen, doch dann war etwas eingetreten, was seinen Plan zum Scheitern gebracht hatte.
Die Besucher des Kräutermarkts taten ihm nichts. Sie interessierten sich auch nicht für ihn, aber Suko war jemand, der seine Blicke überall hatte und sich hier nicht eben wohlfühlte. Er glaubte zwar nicht, in einer Falle zu stecken, aber aus irgendwelchen Gründen fühlte er sich beobachtet.
John hatte schon fast das Zelt erreicht, als Suko die husche nde Bewegung aus dem linken Augenwinkel wahrnahm. In seiner Nähe war jemand zur Seite gehuscht. So schnell, dass es nicht hatte auffallen sollen, aber trotzdem aufgefallen war.
Suko drehte sich und schaute auf den Rücken einer fliehenden Gestalt mit langen Haaren. Sie war nicht genau zu erkennen, weil sie noch immer den Schutz der Stände und Buden suchte, damit sie endlich aus dem Bereich herauskam.
Suko hatte sich schon einige Zeit auf dem Gelände herumgetrieben und alles gut beobachten können. So kannte er die Reaktionen der zahlreichen Besucher. Dass sich allerdings eine Frau oder ein Mann auf eine derartige Art und Weise aus dem Staub machte, war ihm suspekt. Er konnte sich auch keinen normalen Grund für die Flucht vorstellen. Es sei denn, diese Person hätte sich ausschließlich auf ihn, John und diese Karin konzentriert.
Sie lief dorthin, wo das Gelände zu einer Böschung oder einem Deich anstieg. Dahinter schob sich der Fluss durch sein Bett, aber die flüchtende Person mit den langen Haaren wollte bestimmt nicht ins Wasser, um an das andere Ufer zu schwimmen.
Außerdem nahm sie nicht den direkten Weg. Immer wieder fand sie Schutz. Auf der freien Strecke mehr hinter Sträuchern und sogar klein gewachsenen Bäumen.
Und plötzlich war sie verschwunden. Suko, der sie bisher fast immer im Auge hatte behalten können, blieb stehen und schaute sich ratlos um. Die breite Kante der Böschung hatte die Frau noch nicht erreicht. Da hätte er sie sehen
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