1224 - Das Herz der Hexe
dass es nötig sein wird.«
Nach diesen Worten hörte ich ein leises Jammern. Karin hatte es ausgestoßen. Sie zog sich bis an die Zeltwand zurück und hockte sich dort auf den Boden, die Beine angezogen, sodass die Knie beinahe ihr Kinn berührten. Ich wusste nicht, wovor sie sich fürchtete, doch mir war klar, dass sie Angst hatte. Mit den Handflächen tastete sie über den Boden hinweg und schrak dabei immer wieder zusammen, als hätte sie mit der blanken Haut einen heißen Gegenstand berührt. An meiner Anwesenheit konnte es nicht liegen, dass sie so reagierte. Ich konnte durchaus davon ausgehen, dass sie etwas anderes spürte oder fühlte, und dass es mit dem Boden und dem dort ausströme nden Licht zusammenhing. Sicherlich befand sie sich in einer hochsensiblen Verfassung. Ihr Blick war noch starr geblieben.
Trotzdem zeigte er eine gewisse Unruhe. Dabei drehte sie ständig den Kopf wie jemand, der etwas sucht.
Ich ließ sie in Ruhe. Fragen drängten sich zwar auf, aber ich stellte sie nicht. Dafür merkte ich, dass es an meiner Brust ebenfalls wärmer wurde, und das hatte nicht unbedingt etwas mit der zu warmen und schwülen Nacht zu tun.
Das Kreuz war ein perfekter Indikator. Es warnte mich vor dem Unheimlichen, das sich hier verborgen hielt. Ob es sich unbedingt nur auf Amy Madson konzentrierte, war mir unklar.
»Es ist nicht mehr weit«, sagte Karin mit tonloser Stimme.
»Es ist ganz nah…«
Nicht allein die beiden Sätze überraschten mich, ich wunderte mich auch, dass Karin von selbst gesprochen hatte. Ohne dass ich ihr eine Frage gestellt hatte. Das war schon ungewöhnlich, und da musste sich wirklich etwas verändert haben.
»Bitte, Karin, was ist geschehen?«
»Anders. Alles wird anders. Das Böse, das Alte. Ich spüre es. Mir ist kalt, und trotzdem brennt meine Seele.« Sie holte ein paar Mal Luft und ächzte auf.
Amy Madson tat nichts. Sie blieb auf ihrem Kissen sitzen und musste sich wie eine Königin fühlen. Sie herrschte. Sie vertraute voll und ganz auf sich und auf die Kräfte, die hinter ihr standen.
Ich war nicht bei ihr erschienen, um zu bluffen. Es musste etwas getan werden, wenn ich glaubwürdig sein sollte. Noch blieb ich normal und nett, denn ich winkte ihr nur zu. Die Handbewegung musste sie einfach verstehen. Ich bedeutete ihr, sich von dem Kissen zu erheben.
»Nein, ich bleibe. Ich bin hierher gesetzt worden. Das ist mein Platz, und den werde ich freiwillig nicht verlassen, das musst du einsehen, Sinclair. Ich bin der Garant für das Neue, denn mich hat man dafür ausersehen.«
»War es die Hexe ohne Herz?«
Mit dieser Frage hatte ich voll getroffen, denn Amy Madson zuckte plötzlich zusammen. Jetzt musste sie eigentlich begreifen, dass ich nicht zufällig erschienen war und dass ich mehr wusste, als sie sich bisher vorgestellt hatte. »War sie es?«
Amy wurde böse. Genauso klang ihre Stimme. »Was weißt du von ihr?«
»Genug um zu wissen, dass ich dich von ihr wegholen werde. Du hast noch eine Chance vor Gericht, wenn du wieder auf die normalen Menschen setzt und nicht auf Wesen wie Xenia. Sie ist…«
»Die Herrin!«, brüllte sie mich plötzlich an. »Ich erkenne nur sie an. Xenia ist meine Freude. Xenia ist mein großes…«
»Nein. Sie ist ein Nichts. Eine Dämonin. Eine Person, die kein Herz mehr hat.«
»Ja, weil Sie es abgab. Ich habe es. Nur durch ihr Herz bin ich noch am Leben. Und da kommt jemand wie du, um mich von ihr zu trennen? Nein, das schaffst du nicht. Das schafft niemand. Sie und ich bilden eine Gemeinschaft bis in den Tod. Die kann niemand zerstören.«
Es war gut, dass ich sie aus der Reserve gelockt hatte. Nichts anderes hatte ich vorgehabt. Ich wollte mehr über die geheimnisvolle Hexe ohne Herz wissen und fragte provozierend:
»Warum berufst du dich auf sie, verdammt? Xenia ist nicht hier. Sie kann dir nicht helfen. Sie ist verschwunden. Sie ist feige, sie ist…«
Ich wusste nicht, ob mir Amy etwas entgegenschrie oder mich nur anfauchte. Jedenfalls war es ein schrecklicher Laut, den auch Karin hörte und sich die Ohren zuhielt.
Ich ließ sie schreien und sich bewegen. Sie rutschte auf ihrem Sitzkissen hin und her, und ich hätte mich nicht gewundert, wenn sie mir an die Kehle gesprungen wäre. Sie war dieser herzlosen Hexe völlig ergeben, und ich war gezwungen, das Band zu lösen.
Ich ließ Amy toben. So hatte ich Ruhe, mein Kreuz hervorzuziehen. Ja, es hatte sich erwärmt, das merkte ich auch, als es auf meiner Hand lag.
Beide
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