1225 - Bastion im Grauland
lindern. Die Wirkung zu empfinden, dazu hatte er allerdings keine Zeit mehr.
Mehrere Meßinstrumente meldeten sich mit kräftigem Brummen ihrer akustischen Anzeigegeräte. Fonneher fuhr herum und überflog die Meßdaten. Seine Körpertemperatur stieg sprunghaft an, als er zu erkennen meinte, daß er ultimate Ernstfall eingetreten war; er spürte es am Brennen der Lippen. Gleich darauf entspannte er sich jedoch. Es war nicht die große Invasion. Das Nachweisgerät, das die für die Ratane bestimmten Steuerimpulse anzeigte, wies eindeutig aus, daß es sich nur um einen begrenzten Vorstoß handelte. Dreihundert Ratane womöglich, nicht mehr als fünfzehnhundert Paladine. Er machte mit der rechten obersten Hand eine Bewegung, die in der Gestik seines Volkes bedeutete: Darüber brauchen wir uns nicht aufzuregen.
Jetzt, da die Pflicht rief, war alle Unruhe von ihm abgefallen. Die Wirkung des Graueinflusses hatte sich verflüchtigt. Er setzte sich mit den Wachtürmen am West- und Nordrand des Plateaus in Verbindung.
„Sie kommen aus Norden", meldete einer der Posten. „Aber sie steuern einen merkwürdigen Kurs. Ganz so, als ob sie nur den Westrand des Plateaus angreifen wollten."
„Das kann ich erklären", meldete sich ein anderer zu Wort. „Sie haben es wahrscheinlich nicht auf uns abgesehen, sondern auf Domo Sokrat."
Domo Sokrat! Der Name ging Fonneher durch den hageren Leib wie ein elektrischer Schlag. Wie oft hatte er sich gewünscht, daß Sokrat zurückkehre. Er war der Gründer der Kolonie und besaß eine unbeschreibliche Vitalität.
„Wo ist Sokrat?" rief er.
„Am Fuß des Felsens. Er hat vier Begleiter bei sich. Wir wollten ihm entgegengehen ...
aber jetzt kommen die Paladine."
„Ich gebe Alarm", sagte Fonneher entschlossen. „Wir stehen Sokrat bei, so gut wir können."
Mit Bedacht drückte er eine Reihe von Schaltern auf seiner Kontrollkonsole. Draußen, außerhalb des Gebäudes, begannen Sirenen zu heulen. Die Korzbrancher hatten ein kluges System der Alarmierung entwickelt. Die Tonhöhe der Sirenen, die Frequenz des An- und Abschwellens, die Intervalle zwischen den Sirenensignalen - sie alle enthielten Informationen, die besagten, wie stark die gegnerische Streitmacht sei und entlang welcher Front man sich zu verteidigen habe. Die Korzbrancher waren darauf trainiert, den Signalen ohne Zögern zu folgen.
Fonneher öffnete die Tür des kleinen würfelförmigen Gebäudes, das die Kontrollzentrale der Kolonie Korzbranch beherbergte, und trat ins Freie. Er hörte die Triebwerksgeräusche von Gleitern, die vom Boden abhoben und mit maximaler Beschleunigung dem Nordwestrand des Plateaus zustrebten. Auf dem Gesicht, das sich in der Art eines" Flachreliefs von der Mitte seines Leibes abhob, entstand das Äquivalent eines Lächelns.
Auf die Korzbrancher war Verlaß. Lord Mhuthans Truppen durften eines heißen Empfangs gewiß sein.
In Gedanken versunken ließ er den Blick über das grüne Land schweifen. Bunte Blüten erfüllten die frische Luft mit aromatischen Düften. Ein schmaler Pfad wandte sich durch die üppige, kraftstrotzende Vegetation. Hier und da lugte ein Stück Mauerwerk durch das Laub. Die Korzbrancher hatten sich keine Stadt aufgebaut, sondern ihre Häuser in weiten Abständen voneinander aufgestellt und sie harmonisch in die Natur eingefügt. Es gab nur ein einziges, größeres Gebäude: die Ratsstätte, einen Rundbau mit achtzig Metern Durchmesser und zwanzig Metern Höhe, aufgeführt aus dem rötlichen, mit schwarzen Einsprengungen versehenen Stahlstein, der das Grundmaterial des Tafelbergs bildete.
Wenn Fonneher sich umwandte, sah er das kühn geschwungene Dach über den Wipfeln der Bäume.
Das Licht des Tiefenjahres war heller hier oben als drunten im Grauland, obwohl sich hier wie dort derselbe eintönig graue, magisch leuchtende Himmel von einem Horizont zum anderen spannte. Wenn Fonneher gewußt hätte, was eine Sonne ist, wäre ihm vielleicht eingefallen zu sagen: Es ist fast, als ob die Sonne schiene.
Gerechter Gott, wie er dieses Land liebte! Es hatte wenig damit zu tun, daß er einen Großteil der grünenden Natur mit eigener Hand geschaffen hatte. Es war das Gefühl der Freiheit, der ungehemmten Lebensfreude, das ihm ans Herz rührte. Bevor er nach Korzbranch gekommen war, hatte er im Unterland gelebt und war Zeuge geworden, wie der Graueinfluß sich immer weiter verbreitete. Er wußte, was Grauleben war, und haßte es aus der Tiefe seiner Seele. Er war geflohen, kurz
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