1236 - Grauen im stählernen Sarg
nicht zu schwer war. Sein Kahn war nicht unbedingt groß, aber er war gut ausgerüstet und reichte für bestimmte Aufgaben völlig aus. Echolot, Radar, die Bergungsmaschinen, die Kräne, die Tauchglocken, das alles war vorhanden, und es gab auch die entsprechenden Scheinwerfer, um in der Dunkelheit arbeiten zu können.
Pollack und seine Mannscha ft wussten nicht, was sie heben sollten. Die Cavallo hatte ihnen nur erklärt, dass es sich nicht um einen Schatz handelte, auch um nichts Ungesetzliches, sondern um etwas, das für sie persönlich interessant war und an einer bestimmten Stelle vor der schottischen Küste lag.
Noch bei Tageslicht hatten sie den Hafen von Thurso verla ssen und waren nach Westen geschippert, dem Untergang der Sonne und dem Anbruch des Tages entgegen.
Pollack wusste ungefähr die Stelle, wo die Bergung stattfinden sollte, und er wäre nicht ausgelaufen, wenn das Wetter nicht mitgespielt hätte. Das stand in diesem Fall auf ihrer Seite, denn das Meer zeigte sich ruhig, an einen Sturm war nicht zu denken, und es herrschte noch normaler Seegang. Das würde sich in einigen Tagen ändern, wenn man den Wetterleuten Glauben schenken sollte.
Justine Cavallo verließ die Brücke nicht. Sie blieb bei Pollack, der nichts sagte und sich dabei nur auf seine Instrumente konzentrierte, aber auch die See beobachtete und so schon zwanghaft den Blickkontakt mit der Blonden vermied.
Justine lächelte darüber. Sie spürte sehr genau, wie nervös Pollack durch ihre Anwesenheit geworden war, aber sie sprach ihn nicht darauf an, sondern schaute auch über den Bug des Schiffes hinweg auf die wogende Fläche, deren Wellen ein immer neues Muster schufen, das jedoch im Prinzip gleich war.
Der letzte Streifen Tageslicht zeigte sich weit im Westen und hatte noch einen rötlichen Schimmer erhalten.
»Wir haben Glück, nicht wahr?«
Pollack hörte die Frage und schreckte aus seinen Gedanken hoch. »Ja, das haben wir.«
»Wie weit noch?«
»Wenn es stimmt, was Sie mir gesagt haben, dann sind es nur wenige Seemeilen. Vielleicht fünf oder sechs.«
»Das ist gut.« Justine nickte und lächelte. »Sie kennen siche rlich die Stelle, Dean - oder?«
»Ja.«
»Wie weit ist sie vom Land entfernt?«
Der Kapitän hob die Schultern. »Das ist unterschiedlich. Nicht weit entfernt im Süden liegt eine Insel. Coomb Island.«
Er schaute kurz gegen ihr Profil. »Kennen Sie die?«
»Nein.« Sie lächelte. »Nur gehört habe ich von ihr. Oder etwas darüber gelesen.«
»So etwas wie sie muss man auch nicht kennen. Da finden Sie das Ende der Welt.«
Justine Cavallo nickte. Sie sagte natürlich nicht, dass sie die Insel gut kannte und schon gewisse Vorbereitungen getroffen hatte. Aber das Wichtigste lag noch vor ihr, und sie hoffte stark, in Pollack und seiner Besatzung die idealen Helfer gefunden zu haben.
Das Bergungsschiff kämpfte sich durch die Wellen. Mal wurde es nach vorn gedrückt, dann wieder angehoben, mal spritzte Gischt über den Bug hinweg und verteilte sich auf dem Deck, aber es war trotzdem ein recht ruhiges Fahren, denn hier oben waren die Leute anderen Seegang gewohnt.
Auch Pollack blieb ruhig. Zumindest äußerlich war dem großen Mann mit dem dunklen Bart nichts anzusehen, doch im Innern stand sein Gefühlsleben auf Sturm. Er hätte die Person neben sich von der Brücke schicken können, doch das traute er sich nicht. Nicht weil sie alles bezahlt hatte, es war etwas anderes, das ihn davor warnte, mit ihr barsch umzugehen. Er war nie ein besonders sensibler Mensch gewesen, doch hier merkte er sehr deutlich, dass etwas nicht stimmte. Diese Justine Cavallo verhielt sich anders als die Frauen, die er bisher kennen gelernt hatte. Sie tat nichts, und gerade das machte ihn nervös. Sie schien alles unter Kontrolle zu haben und war die eigentliche Chefin auf dem Bergungsboot. Auch hatte sie nicht gesagt, was sie bergen sollten.
Das hatte ihn geärgert, doch die gezahlte Summe hatte einiges wieder wettgemacht. Nun aber wollte er wissen, was auf dem Meeresgrund lag und von ihm und seinen Männern an die Oberfläche geholt werden sollte.
»Sie sollten sich jetzt mal äußern«, sagte er nach einem tiefen Atemzug, »was da gehoben werden soll.«
»Auf diese Bemerkung habe ich gewartet.«
»Dann warte ich auf die Antwort.«
Damit ließ sich die Cavallo Zeit. Sie lächelte noch, schleuderte ihre Haare zurück und strich mit den Händen über das weiche Leder ihrer Kleidung. »Auch wenn Sie jetzt enttäuscht sind,
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