1236 - Grauen im stählernen Sarg
räumte die Teller weg und brachte sie zur Theke. »Alles nur Routine.«
Ich hatte eine Frage und drehte mich auf dem Stuhl. »Erwarten Sie eigentlich Gäste, Mrs. Carry?«
Rose schaltete noch zwei weitere Lampen im Raum ein, und so wurde es auch über der Theke hell. Sie stützte sich auf und sprach zu uns herüber.
»Haben Sie sich entschlossen, über Nacht zu bleiben? Wenn nicht, dann wird es Zeit für eine Rückfahrt. In der Dunkelheit…«
»Gibt es Zimmer bei Ihnen?« erkundigte ich mich.
»Ja, wir haben zwei Räume, die kann ich Ihnen anbieten.«
»Das wäre nett.«
Auf ihrem Gesicht zeichnete sich die Erleichterung ab. »Dann wollen Sie also bleiben. Das finde ich gut. Ich…ich…habe schon mit meiner Tochter darüber gesprochen. Wären Sie nicht von allein darauf gekommen, dann hätte ich Sie gefragt, denn wenn Sie in unserer Nähe sind, fühlen wir uns einfach sicherer.«
»Dann ist alles klar«, sagte ich. »Wo steckt eigentlich Ihre Tochter?«
»Sie kommt gleich. Sie brauchte ein Bad oder eine Dusche.«
»Wunderbar, dann können wir ja…«
Den Satz brauchte ich nicht zu Ende zu sprechen, denn im Hintergrund der Gaststube erschien Amy Carry. Auch sie hatte sich umgezogen. Sie trug jetzt einen brombeerfarbenen dicken Pullover zur schwarzen Hose, deren Stoff samtig schimmerte.
Das Unterteil saß recht eng, sodass ihre Figur gut zur Geltung kam.
Sie hatte leichte Schminke aufgelegt, die ihr Gesicht noch etwas jünger machte, aber den ängstlichen Blick konnte auch sie nicht verdecken. Sie ging auch nicht normal, sondern mit etwas zögerlichen Bewegungen.
»Setzen Sie sich doch«, bot ich ihr an.
»Danke.« Amy nahm Platz. Die Röte in ihrem Gesicht stammte nicht nur vom Make-up. Unsere Nähe schien sie etwas verlegen zu machen. Und sie fing auch sofort an zu sprechen.
»Im Bad habe ich mir noch mal alles durch den Kopf gehen lassen. Ich…ich…«, sie senkte den Kopf. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin. Dass ich hier sitze, das verdanke ich Ihnen und…«
»Bitte«, sagte ich schärfer als gewollt, »das Thema ist erledigt, Amy. Wir sollten uns ab jetzt um andere Dinge kümmern.«
Amy schaute von einem zum anderen. »Aber um welche denn?«, fragte sie leise.
»Es geht um Sie!«
»Bitte?«
»Ja«, bestätigte Suko. »Und zwar um das, was Sie gesehen haben, Amy. Oder was Ihnen Ernie Slater erzählt hat.«
»Das wissen Sie doch schon. Er hat diesen…«, sie wagte kaum, das Wort auszusprechen, »diesen Vampir gesehen. Nur ich habe ihm geglaubt, andere leider nicht und…«
»Den vergessen wir«, sagte Suko. »Uns geht es mehr um diese blonde Frau.«
Amy Carry schloss für einen Moment die Augen. Dabei nickte sie und flüsterte: »Das habe ich mir gedacht, aber ich kenne sie gar nicht. Ich habe sie… ja… ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie ist wohl so etwas wie ein Phantom gewesen. War blitzschnell da und ebenso schnell wieder verschwunden.«
»Können Sie sich denn vorstellen, wie diese Person auf die Insel gekommen ist?«, wollte ich wissen.
»Nein und ja. Es gibt zwar keine Fähre, aber vom Festland kann man jemanden mieten, der zur Insel fährt. Ob sie das getan hat, weiß ich nicht, denn es gibt auch noch einen anderen Weg. Sie können selbst mit einem Boot die Insel anfahren und auch wieder verschwinden.«
»Dann hätte unten im Hafen ein fremdes Boot liegen mü ssen.«
»Nein, Mr. Sinclair, nicht unbedingt. Bei ruhigem Seegang gibt es einige Stellen am Ufer, an denen sie anlegen können. Das hat sie vielleicht getan.«
»Gute Idee.« Ich schaute Suko an. »Was meinst du dazu?«
»Einverstanden. Auch ich kann mir gut vorstellen, dass es auf diese Art und Weise gelaufen ist.«
Amy konnte ihre Frage nicht länger zurückhalten. »Rechnen Sie denn damit, dass sie wiederkommt?«
»Bestimmt.«
Amy wurde blass. Sie schaute zu ihrer Mutter hin, die hinter der Theke stand und zugehört hatte. »Das wäre ja furchtbar. Die Frau ist doch gefährlich - oder?«
Da sie uns wieder anschaute, gab Suko die Antwort. »Ja, sie ist gefährlich.«
»Auch ein Vampir?«
»Leider ja.«
Amy krampfte ihre Hände zusammen und holte scharf Luft.
Eine Antwort gab sie nicht. Nur ihre Nervosität nahm zu, und das merkten wir am Flattern ihrer Augendeckel.
»Was können wir denn tun? Von der Insel fliehen?«
»Wäre am besten«, sagte ich. »Nur ist eine Evakuierung nicht so leicht durchzuführen, glaube ich. Ihre Mutter weiß bereits Bescheid, und Ihnen werde
Weitere Kostenlose Bücher