1237 - So rächt sich eine Bestie
Cavallo brachte ihren Mund bis dicht an das rechte Ohr des Kapitäns. »Glaubst du eigentlich, dass sie schon satt genug sind, mein Freund? Glaubst du das?«
»Ich weiß nicht. Ich… ich… meine…«
»Nein, Dean. Sie sind nicht satt. Sie haben noch immer einen verdammten Hunger nach Blut. Das solltest du wissen. Sie wollen dich leer trinken, und es gibt keinen, der sie davon abhalten könnte.«
Dean Pollack zitterte. Er wollte es nicht, aber er konnte nicht anders. Sein Körper reagierte anders als das Gehirn. Die Reaktionen ließen sich nicht mehr lenken, und so hörte er auch, wie seine Zähne hart aufeinander schlugen.
»Angst, mein Freund?«
»Ja! Ja!«, stieß er hervor. Er war jetzt auch in der Lage, um sein Leben zu betteln. Das hätte er sich nie vorstellen können, aber so kann es sich ändern.
»Du musst auch Angst haben, obwohl du ein neues Leben bekommen könntest.«
»Als was denn?«
»Als einer der unsrigen.«
Diese Antwort hatte er nicht erwartet. Sie schoss noch mehrmals durch seinen Kopf, und erst dann begriff er ihren Sinn.
Justine Cavallo hatte sich selbst in die Antwort mit eingeschlossen und sich somit geoutet.
Auch sie gehörte dazu!
Auch sie musste diese Blutzähne besitzen, obwohl sie ihm die bisher nicht gezeigt hatte. Jetzt wurde ihm klar, dass sein Leben nichts, aber auch gar nichts mehr wert war. Eine allerletzte Hoffnung hatte er noch in die Blonde gesetzt, doch dieses Gefühl war zerplatzt wie ein Regentropfen, der auf einen harten Boden fällt.
Und dann waren sie da. Sehr nahe sogar. Sie schaukelten sich heran, und sie brauchten nur ihre Arme auszustrecken, um ihn anfassen und zu sich heranziehen zu können.
Er sah ihre Köpfe, die Gesichter, aber er sah sie nicht mehr so klar. Die Angst um sein Leben hatte Deans Blick verschwo mmen werden lassen. Phantomschmerzen schossen durch seinen Körper bis in den Kopf hinein, und aus seinem offenen Mund drang ein heiseres Krächzen.
Die erste Berührung.
Eine kalte Hand, die sich gegen seine linke Wange legte und die Haut dort zusammendrückte. Wie die Klaue eines alten Toten. Dean wollte schreien, doch auch dies blieb ihm versagt.
Stattdessen erlebte er, wie eine zweite Hand sich seinem Kopf näherte und die Mütze mit dem schmalen Schirm einfach wegfegte.
Jetzt lagen seine Haare frei.
Der Blutsauger zerrte seinen Kopf zur Seite, und Dean konnte die ruckartige Bewegung nicht mehr ausgleichen. Die Klaue blieb in seinem Haar fest gekrallt, und der Kopf blieb zur rechten Seite hin gezerrt.
Nichts anderes hatte der Blutsauger gewollt, denn er wollte die linke Halsseite frei haben.
Die anderen ließen ihn gewähren. Sie würden sicherlich später zubeißen und saugen. Das Gesicht des Wiedergängers näherte sich dem Hals. Es kam dabei so nahe, dass Dean den Gestank wahrnahm, der ihm aus dem Maul entgegendrang. Es war ein Geruch, wie er ihn noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Er schien direkt aus der finstersten Ecke der Hölle zu stammen oder von einem Friedhof her, aus dem der Gestank verwesender Leichen durch die Erde in die Höhe drang.
Er sah sogar die Risse in der fahlen Haut, so nahe war ihm die Fratze gekommen.
Er schloss die Augen - und hörte die Stimme der Blonden.
»Nein, nicht!«
Auf einmal war es still. Es kam Dean zumindest so vor. Eine Stille hielt ihn umpackt wie Watte. Er dachte, aus seinem Leben entwichen zu sein und irgendwo zwischen Himmel und Erde zu schweben, womöglich auf dem Weg in die Hölle oder in den Himmel.
»Weg mit dir! Ich brauche ihn noch! Hau ab! Du wirst noch genügend Blut bekommen!«
Es stimmte. Es war keine Täuschung.
Er hatte die Stimme tatsächlich gehört. Die Blonde scheuchte den Vampir von seinem Opfer fort. Jetzt endlich schaffte er es wieder, die Augen zu öffnen, und er erkannte auf den ersten Blick, dass er sich nicht geirrt hatte. Nicht nur der Vampir, der ihn hatte beißen wollen, zog sich von ihm zurück, sondern auch die anderen drei, denn ihnen hatte der gleiche Befehl gegolten.
Justine ließ den Mann los. Pollack hatte sich bisher darauf verlassen. Jetzt gab es für ihn keinen Halt mehr in seinem Rücken, und so erwischte ihn die Schwäche mit voller Wucht.
Es war ihm nicht mehr möglich, sich auf den Beinen zu halten.
Genau dort, wo er stand, brach er auch zusammen…
***
Dean Pollack wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als es ihm endlich gelang, die Augen zu öffnen und er sich wieder einigermaßen besser fühlte.
Er hatte den Eindruck gehabt, aus
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