1237 - So rächt sich eine Bestie
wusste auch, dass in früheren Zeiten zahlreiche Schiffe gesunken waren, die wertvolle Ladungen an Bord gehabt hatten.
Es gab immer wieder Crews, die sich zusammenfanden, um diese Ladungen zu heben. Aber diese Routen lagen an anderen Orten. Mehr in der Karibik. Von der schottischen Küste hatte ich da wenig gehört, denn die großen Schifffahrtsrouten führten woanders hin.
Der Kahn gab mir Rätsel auf. Da auch das Deck zum Teil erleuchtet war, erkannte ich, dass sich Tom Carry nicht geirrt hatte. Das Schiff war mit den entsprechenden Einrichtungen versehen, denn mir fielen die langen Arme der Bergungskräne ins Auge. Allerdings waren sie nicht in Betrieb.
»Willst du es entern, Sinclair?« Wieder riss mich Toms Stimme aus meinen Überlegungen.
»Kann sein.«
»Dann ohne mich. Das ist nicht mein Ding, hörst du. Ich bin Fischer und kein Pirat.«
»So sehe ich mich auch nicht. Aber hier geht es um Dinge, die…«
Ich sprach den Satz nicht mehr aus, denn ich hatte etwas gesehen, was mich voll und ganz überrascht und sprachlos gemacht hatte.
Vor uns schaukelte etwas auf dem Wasser. Es war kein Treibholz, denn es bewegte sich noch aus eigener Kraft, wenn auch sehr matt. Ein länglicher Gegenstand, der aber nicht die Form eines Bretts besaß, denn nach einem erneuten Auftauchen erkannte ich ihn besser.
Es war ein Mensch!
Mein Schock dauerte nur wenige Herzschläge lang, in denen ich den Mann nicht aus den Augen ließ, der durch die Wellen nach Backbord getrieben wurde und sich in den folgenden Sekunden immer weiter von unserem Boot entfernen würde.
Ich musste etwas tun, denn Tom Carry hatte den Mann noch nicht gesehen. Deshalb schrie ich einen Satz, der alle Seeleute aufschreckt.
»Mann über Bord!«
***
Tom Carry reagierte überraschend fix. Meine Stimme war kaum verklungen, da stellte er den Motor ab. Natürlich trieben wir noch weiter, aber Tom verließ seinen Platz und kam zu mir.
»Wo?«
»Backbord.«
Er schaute hin. »Scheiße, der säuft fast ab!«
Und dann handelte er. Er griff nach einem Rettungsring und schleuderte ihn genau in dem Augenblick los, als der Körper durch eine lange Welle angehoben wurde.
Ich hätte wahrscheinlich nicht so gut gezielt, aber Carry war routiniert genug, um sein Ziel zu treffen. Der helle Rettungsring huschte über die Wellen hinweg und klatschte genau neben dem Kopf des Mannes ins Wasser.
»Pack ihn!«, brüllte Carry.
Seine Stimme übertönte selbst das Rauschen der Wellen. Er kniete und hielt die Leine fest, mit der der Rettungsring verbunden war.
Der Mann im Wasser reagierte tatsächlich. Die Stimme musste ihn noch einmal aus seinem Zustand der Lethargie hervorgeholt haben. Zumindest wischte ein Arm so hoch aus dem Wasser, dass er damit, wenn er ihn fallen ließ, den Korkring erwischen konnte.
Er schaffte es tatsächlich. Sein Arm klatschte auf den Ring, eine Hand tauchte durch die Mitte in das Loch und klammerte sich dann an der Seite fest.
»Super!«, brüllte Tom. »Das ist genau richtig. Und jetzt nicht loslassen.« Um mich kümmerte er sich nicht. Er brauchte mich auch nicht als Helfer, er wusste sehr genau, was zu tun war, denn da erkannte man in ihm den versierten Fachmann.
Hand über Hand zog er den Ring mit seiner menschlichen Last näher an unser Boot heran. Ich kniete neben Carry und drückte ihm die Daumen, dass alles so klappte wie wir es uns vorstellten und der Mensch am Leben blieb.
Er musste einen Krampf bekommen haben, denn er ließ nicht los. Selbst als er von Wellen überspült wurde, hielt er sich an diesem runden Ding fest, und so zog ihn Tom Carry immer näher an die Bordwand heran. Nur noch wenige Sekunden, dann hatten wir ihn endgültig.
Carry warf einen Blick nach rechts und schaute mich kurz an.
Ich erkannte, dass sein Gesicht von der Anstrengung und auch der Spannung gezeichnet war.
»Jetzt pass auf, Sinclair! Jetzt musst du mir helfen! Wenn er da ist, greif zu und zieh ihn hoch!«
»Klar!«
Auch ich war in diesem Moment voll konzentriert. Ich beobachtete das Wasser, ich ließ den Mann nicht aus den Augen, der sich matt bewegte, und dann packte ihn eine Welle, die ihn direkt auf die Bordwand zuschleuderte.
Er wäre dagegen geprallt, aber ich war schneller und tauchte meine Arme in das kalte Meerwasser. Schon mit dem ersten Griff bekam ich ihn unter den Armen zu fassen. Die Hände hingen an den Achselhöhlen fest. Durch den Rettungsring erschien mir der Körper leichter geworden zu sein. Neben mir hörte ich Carrys
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