1238 - Justines Blutfest
sagte sie.
»Wofür?«
»Dass Sie mich nicht angelogen haben und nicht mit irgendwelchen Ausreden gekommen sind. Ich schätze es, wenn jemand ehrlich zu mir ist. So kann ich mich darauf einstellen. Jeder Mensch muss irgendwann sterben, das ist das Schicksal, das gehört zu dem ewigen Kreislauf, in den wir eingebunden sind. Es kommt nur darauf an, wie man stirbt. Wenn der Mensch von einem Vampirbiss erwischt wird, dann gleitet er dem Tod entgegen. Aber was wird das für ein Tod sein? Haben Sie sich darüber schon mal Gedanken gemacht? Ist er anders, weil er in eine neue Existenz mündet?«
Ihre Betrachtungen überraschten mich schon. Ich hätte ihr auch gern eine konkrete Antwort gegeben. Das allerdings war noch nicht möglich, denn ich selbst hatte es noch nicht erlebt und auch nicht mit Personen gesprochen, die so etwas erlebt hatten.
»Sie wissen es auch nicht, wie?«
»So ist es. Aber ich glaube nicht, dass es eine große Freude sein wird, Amy.«
»Ja, verstehe. Das wollte ich nur wissen. Sie sagen mir Bescheid, wenn Sie das Haus verlassen?«
»Klar.«
»Sie müssen ja weg, nicht?«
»Warum?«
»Weil Sie die Vampire finden müssen. Sie brauchen Blut, und das bekommen sie nur, wenn sie an die Menschen herangehen. Bitte, ich möchte im Haus bleiben, auch wenn ich wieder aufstehe. Ich gehöre hierher. Ich werde es verteidigen und nicht mit Ihnen auf die Suche gehen. Ist das okay?«
»Klar, Amy. Dennoch reden wir später noch mal darüber. Wenn möglich, ruhen Sie sich aus, obwohl ich Sie nicht gern allein hier oben zurücklasse.«
In ihren Augen schimmerte es. »Das genau will ich ja«, sagte sie. »Ich will hier allein bleiben.«
»Wollen Sie den Lockvogel spielen?«
»Ja. Ich will ein Lockvogel sein. Ich habe mich entschlossen. Glauben Sie nur nicht, dass ich keine Angst habe, aber irgendwann muss man über den eigenen Schatten springen. Ich will sie herlocken, und ich will sehen, was aus ihnen geworden ist.«
Als sie sah, dass ich besorgt Luft holte, sprach sie weiter und hob dabei ihre Stimme. »Sie haben Angst um mich, das weiß ich. Aber Sie werden mich nicht von meinem Vorhaben abbringen, John. Es ist das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Zwar lebe ich jetzt auf dem Festland, aber das Haus und die Insel betrachte ich noch immer als meine Heimat. Und die möchte ich nicht verlassen. Ich werde um sie kämpfen und mithelfen, das Grauen zu stoppen. Wenn die andere Seite stärker ist als ich, dann habe ich eben Pech gehabt, doch mein Entschluss steht felsenfest.«
Sie hatte so gesprochen, dass ich ihr auch alles glaubte. Da war der schottische Dickkopf durchgedrungen. Trotzdem hielt ich mit meinem Einwand nicht hinter dem Berg.
»Sie sind viel zu jung, um schon jetzt zu sterben, Amy. Das muss ich Ihnen sagen.«
»Ich will auch überleben.«
»Das hoffe ich.«
Sie senkte ihren Blick. »Bitte, John, lassen Sie mich jetzt allein. Ich möchte ein wenig schlafen. Vielleicht auch nachdenken. Sollte sich etwas verändern, werde ich Ihnen Bescheid geben, aber ich muss jetzt einfach allein sein.«
»Das verstehe ich.«
Bevor ich das Zimmer verließ, warf ich noch einen letzten Blick auf die Knoblauchstauden. Sie lagen auf Amys Bett, als wären sie Wächter oder Puppen, mit denen Amy irgendwann spielen wollte, bevor sie in den Schlaf hineinsank.
Der Flur war eng und schlecht beleuchtet. Das Licht ließ ich an und ging die steilen Stufen der Treppe hinab. Suko war unten zurückgeblieben. Bisher hatte ich noch nicht erlebt, dass er mit sich selbst sprach. In diesem Fall hörte es sich so an. Es war ein Irrtum. Suko unterhielt sich mit einer zweiten Person, die ich sah, als ich durch den normalen Eingang trat und mich mit einem Räuspern bemerkbar machte.
Beide schauten zur Tür.
»Komm rein, John«, rief Suko mir zu. »Ich denke, es kann für uns interessant werden…«
***
Amy Carry wusste nicht, ob ihr John Sinclair alles geglaubt hatte. Es war auch nicht wichtig, denn sie hatte sich nach ihrem Erwachen dazu entschlossen, sich selbst um gewisse Dinge zu kümmern. Das hatte sie schon immer getan, denn es musste auch so sein, wenn man als Mensch mit beiden Beinen im Leben stand.
Im Zimmer war es sehr still geworden.
Auch Amy bewegte sich nicht. Sie lag auf dem Rücken, hielt die Augen manchmal geschlossen, dann auch wieder offen und lauschte den Schritten nach, die allmählich verklangen.
Das war gut. So sehr sie auch Vertrauen zu John Sinclair und seinem Freund hatte, irgendwo gab es schon eine
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