1238 - Justines Blutfest
auf dem Meer arbeiteten.
Im Nebel zu fischen, war auch nicht das Wahre. Aber hier oben herrschten andere Gesetze. Manchmal lag der Nebel auch nur an einer Stelle der Insel, während die anderen klar waren.
Plötzlich auftretender Küstendunst war hier keine Seltenheit.
Sie kamen nicht. Zumindest fiel ihr nichts auf. Sie hörte nichts. Keine Schritte, keine Stimmen, nur eben das schwache Rauschen der Brandung, und auch das klang meilenweit entfernt.
Amy sah ein, dass es ihr nichts brachte, wenn sie noch länger vor dem offenen Fenster stehen blieb. Deshalb zog sie sich zurück. Es war viel bequemer, wenn sie sich ins Bett le gte und dort auf das wartete, was ihrer Meinung nach kommen musste.
Sie blieb für einen Moment auf der Bettkante sitzen und schaute auf die Uhr.
Es war noch Zeit bis zur Tageswende. Ungefähr eine halbe Stunde. Amy wusste selbst nicht, was sie an Mitternacht so faszinierte. Möglicherweise waren es die alten Geschichten, die man sich immer erzählte. In ihnen spielte die Tageswende oft eine wichtige Rolle.
Amy versteckte die beiden Knoblauchstauden unter dem Bett.
Wenn jemand kam, wollte sie ihn damit überraschen. Und sie legte sich so hin, dass sie das Fenster beobachten konnte, das nach wie vor offen stand.
Es lag im ersten Stock, aber für einen Blutsauger würde es kein Hindernis sein, es zu betreten.
Höhe - Tiefe, spielte so etwas überhaupt eine Rolle, wenn sie angriffen?
Das glaubte Amy nicht, denn wenn sie an Vampire dachte, dann auch an Fledermäuse, denn diese beiden Komponenten musste sie einfach zusammenbringen. Dazu brauchte sie nicht mal Fachfrau zu sein, das gehörte einfach zum Allgemeinwissen.
Nur konnte sich Amy schwer vorstellen, ihre Mutter oder ihren Vater als Fledermaus zu erleben, die lautlos auf der Suche nach Beute durch den Nebel glitten.
Sie hätte mit John Sinclair über dieses Thema sprechen sollen. Es war ihr leider zu spät eingefallen.
Die Zeit rann dahin.
Auch die Gedanken bewegten sich in Amys Kopf. Sie drängten sogar die Stiche zurück. Für sie war die Zeit ein gewaltiges Stundenglas, durch das der Sand rann. Und wenn das letzte Körnchen hindurchgefallen war, dann wartete der Sensenmann als Sinnbild des Todes, der jeden Menschen holte.
Sie hatte sich nie mit den Begriffen Himmel und Hölle beschäftigt. Jetzt schoss ihr das durch den Kopf, und so stellte sie sich die Frage, wo die vernichteten Vampire landeten und ob überhaupt noch etwas von ihnen übrig blieb.
Bei den Menschen war es die Seele. Nur stellte sich die Frage, ob Vampire so etwas besaßen.
Wenn sie den Atem anhielt, war es besonders still. Amy hörte auch nichts von unten. Keine Stimmen, keine Trittgeräusche, und sie fragte sich, ob die beiden Männer überhaupt noch im Haus waren.
Und dann hörte sie etwas!
Nicht im Zimmer, sondern draußen. Es war ein Zischeln und ein Kratzen. Amy hatte auch herausgefunden, dass sie zum Fenster schauen musste, um die Quelle zu ergründen.
Der Nebel war da. Er trieb in Bahnen herbei, und er war so etwas wie ein Beschleuniger für eine Gestalt, die sich in der grauen Suppe abmalte und vor dem Fenster zu schweben schien.
Amy richtete sich auf. »Mutter?«, flüsterte sie halblaut.
Die Antwort bestand aus einem kratzigen Lachen und Kichern…
***
Dean Pollack war allein auf seinem Schiff zurückgeblieben.
Er verstand die Welt nicht mehr. Er kam sich vor wie der letzte Mensch auf Erden, der einen gewaltigen Krieg überlebt hatte, wobei seine Erde begrenzt war und sich allein aus dem Schiff zusammensetzte.
Durch das ging er.
Eine Flasche Rum hielt er in der rechten Hand. Eine Zigarre qualmte in der linken. Er hatte die Brücke verlassen, und sein Weg führte ihn über das Deck hinweg.
Genau hier hatte er das gesehen, was nicht so leicht zu verarbeiten war. Er hatte die Menschen erlebt, die sich den Wesen entgegengestellt hatten, die es im Prinzip nicht geben durfte und nur Gestalten irgendwelcher Autorenfantasien waren.
Irrtum, denn es gab sie.
Er ließ sich auf einer Taurolle nieder, von der er das Deck gut überblicken konnte. Er war einsam, aber er fühlte sich nicht allein, denn es gab immer wieder Begleiter, die ihn umwehten.
Die Schwaden drängten vom Meer her auf die Küste der kleinen Insel zu, und er war überzeugt, dass sie bereits das gesamte Eiland in Beschlag genommen hatten.
Er saß, rauchte, trank, hing seinen Gedanken nach und hoffte, dass die Nacht so schnell wie möglich vorbei war und auch der Nebel verschwand.
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