1239 - Bilderbuch des Schreckens
hat nicht auf mich gehört und blieb lieber für sich. Und zwingen konnte ich ihn nicht.«
Ich deutete auf das Buch. »Hat Tommy stets daran geglaubt, was er las?«
»Keine Ahnung, Mr. Sinclair. Darüber habe ich mit ihm nicht gesprochen. Das heißt, ich gab es nach einigen Versuchen auf. Tommy wollte mit seiner Literatur allein bleiben.«
»Und jetzt ist er auch allein?«
»Ja.«
»Im Wald?«
»Ich weiß nicht, wohin er gegangen ist.«
Verdammt noch mal, warum konnte ich dieser Frau nicht alles glauben? Auch Suko machte auf mich den Eindruck, als hätte er, Schwierigkeiten, sich an die Reaktionen der Frau zu gewöhnen. Er schaute sie ziemlich misstrauisch von der Seite an, was sie aber nicht bemerkte.
»Wollen Sie noch andere Räume hier im Haus sehen?«
»Das könnte…«
Die nächsten Worte wurden mir vom Mund gerissen, denn wir hatten ein Geräusch gehört. Über uns, sogar ziemlich direkt. Es war ein Kratzen und Poltern zu hören, als hätte jemand einige schwere Steine auf dem Dach ausgekippt.
Ich blickte Janet Olden an.
Sie gab mir eine Antwort, ohne dass ich sie etwas gefragt hatte. »Tut mir Leid, aber ich weiß nicht, was es ist. Ehrlich nicht. Da habe ich keine Ahnung.«
»Jemand ist auf dem Dach«, sagte Suko.
Er hatte den Satz kaum ausgesprochen, da war er schon an einem der beiden Fenster und zerrte es auf.
Das zweite Fenster war ebenfalls frei, und das nahm ich mir vor.
Ehe ich mich drehte, um in die Höhe zu schauen, warf ich einen Blick nach unten, weil ich auch damit rechnete, jema nden im Garten herumlaufen zu sehen, aber ich sah keine der Gestalten, die wir im Wald entdeckt hatten. Und doch fiel mir etwas auf. Es war schwer zu schätzen, in welch einer Entfernung der kleine Bau stand, zudem sah ich ihn nur schattenhaft, aber ich ging davon aus, dass es ein festes Gebäude war, in dessen Nähe auch noch Bäume wuchsen.
Im Moment war es unwichtig, denn das Poltern hörte nicht auf und so drehte ich mich um, als ich mich aus dem Fenster gelehnt hatte. Es war keine gute La ge, aber nicht anders zu machen.
Ich rechnete natürlich damit, die Gestalt zu sehen, die auf eine so bestimmte Art und Weise durch die Luft geflogen war, aber ich bekam sie nicht zu Gesicht.
Dafür rutschte etwas über das Dach. Auch die Rinne wurde überwunden, und dann flogen zwei, drei Dachpfannen wie dunkle Geschosse an mir und Suko vorbei und landeten vor dem Haus auf dem Boden.
Kurz danach hörten wir wieder das krächzende und gackernde Gelächter, und dann erschien dieser flatternde Schatten wieder und huschte in einer schrägen Linie dem Boden entgegen.
Obwohl es nach wie vor dunkel war, konnten wir diese Gestalt besser erkennen.
Ja, es war eine Hexe, die auf einem Besen hockte. Etwas, womit man die Kinder erschreckte. Eine Gestalt, die auch in den Bilderbüchern zu sehen war, immer dunkel gekleidet und mit einem spitzen Hut auf dem Kopf.
Sie huschte nach unten. Der Wind war ihr Freund. Sie lachte und landete im Gras. Bisher hatten wir ihr Gesicht noch nicht zu sehen bekommen, weil alles zu schnell gegangen war. Jetzt aber sahen wir es, oder ahnten es zumindest, denn sie hatte sich auf ihrem Besen gedreht und schaute zum Haus zurück. Dabei beobachtete sie uns, denn sie schien uns wohl nicht zu mögen.
Das Gesicht war da, und es hob sich auch von der übrigen dunklen Kleidung ab, denn es schimmerte heller, aber nicht bleich. Ich glaubte vielmehr, einen rötlichen Schimmer gesehen zu haben und fragte mich wirklich, ob es Hexen mit roten Gesichern gab. Oder waren es die Augen, die so leuchteten?
Sie drehte sich auf der Stelle, schickte uns noch mal ein Lachen entgegen und verschwand.
Auch ich drehte mich, ebenso wie Suko. Wir hatten den gleichen Gedanken gehabt und schauten Janet Olden an, die blass und zitternd nahe der Tür stand.
»Haben Sie alles gesehen?«, fragte ich sie.
»Ja, habe ich.«
»Sie kennen…«
Janet ließ mich nicht ausreden. »Nein, nein, nein, ich kenne nichts. Ich will auch nichts kennen, verstehen Sie?«
Mit ihrer Beherrschung war es vorbei. Ihr Benehmen war nur Tünche gewesen, sie hatte sich zusammenge rissen, doch irgendwann war auch für sie Schluss.
Sie lehnte sich gegen die Wand und stützte ihre Stirn gegen die Unterarme.
»Ich schaue mich mal draußen um«, sagte Suko.
»Okay, aber warte auf mich.«
»Natürlich…«
Er ging und ließ mich mit Janet Olden allein…
***
Das war kein Spiel mehr. Es war auch keine Schau zu Halloween, und es war längst kein
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