1239 - Bilderbuch des Schreckens
härter zuzugreifen.
Meine rechte Hand klatschte gegen seine Wangen.
Es war die klassische Ohrfeige, die ihn erwischte und für einen Moment verblüffte. Der Griff um das Buch lockerte sich.
Ich nahm die Chance wahr, entriss es ihm und warf es im hohen Bogen auf Suko zu, der darauf gewartet hatte.
Er fing es auf, und das sah auch Tommy!
Er schrie, wie eine Sirene heult. Er wollte auf Suko zu rennen, aber er hatte mich unterschätzt. Plötzlich fühlte er sich von einem Klammergriff am rechten Handgelenk gepackt. Ich drehte ihm den Arm in die Höhe und wusste, dass es schmerzte, denn ich hatte ihn im altbekannten Polizeigriff gepackt, und der ist noch immer sehr wirkungsvoll.
Er beugte sich nach unten. Aus seinem Mund drang kein Schreien mehr, nur noch ein Stöhnen.
»Nicht bewegen, Tommy, nicht bewegen!«
»Du Arsch! Du hast das Buch…«
»Es ist wichtig für dich und deine Zukunft.«
Suko hatte noch nichts getan und erst mal abgewartet. To mmy wusste, dass er gegen den Griff nicht ankam. Er hatte es auch aufgegeben, nach mir zu treten. Er stand gebückt vor mir, war plötzlich sehr ruhig geworden, und auch Suko reagierte jetzt.
Zuerst legte er das Buch auf den Schreibtisch. Dann schlug er es auf, er blätterte es durch, und plötzlich sah ich, wie er zusammenzuckte.
»Was ist?«
»Komm näher, John!«
Es musste etwas Wichtiges sein, sonst hätte er mich nicht darum gebeten. Allein konnte ich nicht gehen und stieß Tommy vor, der seine gebückte Haltung beibehielt.
In Sukos Nähe hielten wir an. So konnten wir auch einen Blick auf das aufgeschlagene Buch werfen.
Ich schwieg.
Tommy aber schrie auf.
Es war nur ein Bild zu sehen, und das zog sich über zwei Seiten hin. Es zeigte Tommys Vater, wie er jetzt aussah. Das Skelett mit seiner dunklen Kutte und mit dem ebenfalls dunklen Hut auf dem Kopf. Aber diesmal hielt es kein Buch fest, denn er war selbst zum Inhalt eines Buches geworden.
Und noch etwas fiel mir auf. Das Bild bewegte sich. In dieser Zeichnung steckte Leben.
»Wo hast du es her, Tommy?«
»Es lag auf meinem Schreibtisch, als ich das Zimmer betrat!«
Okay, das akzeptierte ich. Wahrscheinlich gab es auch keine andere Möglichkeit. Charles Olden hatte sein Reich verlassen und wollte jetzt auf eine andere Art und Weise den Kontakt zu seinem Erben einhalten.
»Suko!«
Mein Freund wusste Bescheid. Es reichte bei uns meist ein Wort. Die Peitsche hielt er schon in der Hand, und bevor wir uns versahen, schlug er damit zu…
***
Es war kein Schrei zu hören. Nur ein Klatschen, als die drei Riemen das Buch trafen und sich auf der Doppelseite verteilten. Zunächst passierte nichts, die Riemen schienen auf den beiden Seiten liegen zu bleiben. Aber das Skelett bewegte sich.
Ja, in ihm steckte Leben, das ihm allerdings jetzt genommen wurde.
Die Umrisse schienen sich aufzulösen, dann aber liefen sie ineinander, sodass auf beiden Seiten ein grauer Fleck entstand, der immer mehr eindunkelte, je mehr er sich zusammenzog.
Bis er so etwas wie ein Mittelpunkt war, aus dem plötzlich eine Stichflamme bis gegen die Decke zuckte.
Wir wichen automatisch zurück, und ich zerrte auch den Jungen weg, aber dieses Feuer tat uns nichts. Es waren die grünen Flammen aus der Druidenwelt, die uns da entgege nschlugen und das, was einmal ein Skelett gewesen war, vernichteten.
Es blieb nicht dabei.
Das gesamte Buch verbrannte. Grüner Rauch breitete sich im Zimmer aus. Sekunden später hatte Suko das Fenster geöffnet, so konnte der Rauch abziehen, der ebenfalls noch etwas Besonderes aufwies, denn in ihm sahen wir die verlaufenden Gestalten und Gesichter der Wesen, die uns im Wald und später auch unter dem Gartenhaus begegnet waren.
Sie blieben nicht die Einzigen. Alle Bilder, die sich im Buch befanden, lösten sich in Rauch auf, und von dem Buch selbst blieb zuletzt nur noch Asche zurück.
Ich hatte den Jungen längst losgelassen. Tommy stand vor mir. Er zitterte. Ich wollte ihn trösten, doch von der Tür her hörte ich die Stimme seiner Mutter.
»Tommy!«
Er drehte sich um. So schnell wie er war wohl kaum jemand seiner Mutter in die Arme geflogen.
Als wir das sahen, da wussten wir, dass letztendlich alles gut gegangen war. Das tat nicht nur den beiden gut, sondern auch uns…
ENDE
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