1239 - Bilderbuch des Schreckens
sie aus wie jemand, dem eine Frage auf der Zunge lag. Sie traute sich nicht, sie mir zu stellen. Sicherlich hatte sie mein verändertes Verhalten überrascht.
»Waren Sie schon dort, Janet?«
Die Frau brauchte nicht lange zu überlegen. »Früher schon. In der letzten Zeit allerdings habe ich mich nicht hingetraut. Da fürchtete ich mich. Im Gegensatz zu Tommy. Er ist immer hingegangen. Nicht jeden Tag, sondern alle vier Wochen hat er seine Besuche dort abgestattet.«
»Warum das?«
»Immer bei Vollmond.«
»Aha…«
Janet fühlte sich aufgefordert, weiterzusprechen. »Das muss eine besondere Phase sein. Davon hat er auch gesprochen. Da kommen die anderen Kräfte dann frei, verstehen Sie?«
»Kann sein.«
Sie wechselte das Thema. »Tommy hat immer in seiner Welt gelebt. Darin ist er regelrecht eingetaucht. Da hat er sich auch sehr wohlgefühlt. Er war immer glücklich und hat mir erzählt, dass Märchen wahr werden können. Oder zum Teil. Und die Schuld daran, wenn man das überhaupt sagen kann, trug sein Vater. Er ist ja nicht anders gewesen«, fuhr sie mit leiser Stimme fort. »Charles ist ein Einzelgänger, der für sich gelebt hat. Es war nur wichtig, dass ich ihm einen Sohn gebar. Das ist passiert, und dann hat er sich zurückgezogen. Er ist verschwunden und haust seit dieser Zeit in unserem Gartenhaus. So habe ich es gehört, obwohl ich es mir nicht vorstellen kann.«
»Das ist tatsächlich schwierig.«
Damit hatte ich der Frau ein Stichwort gegeben. »Ja«, sagte sie, »ich weiß nicht mal, wovon er lebt. Wovon er sich ernährt. Das ist mir alles so suspekt. Das will nicht in meinen Kopf hinein.«
»Haben Sie nie daran gedacht, von hier wegzuziehen, Janet?«
»O ja, das habe ich. Aber fragen Sie mal meinen Sohn. Tommy hätte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Das hätte er niemals zugelassen, wenn Sie verstehen.«
»Stimmt auch wieder.«
Die Frau hob die Schultern. »Und was werden Sie jetzt unternehmen, John? Sie müssen etwas tun, oder?«
»Natürlich. Ich werde mir das Gartenhaus mal von innen anschauen und Ihren Sohn suchen. Aber auch Ihren Mann. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig. Und dann gibt es noch vier ungewöhnliche Gestalten, deren Existenz mir auch nicht klar ist. Denen will ich ebenfalls einen guten Abend wü nschen.«
»Aber das ist gefährlich, John.«
»Daran bin ich gewöhnt. Mein Leben gleicht oft dem Tanz auf dem Vulkan. Bisher habe ich Glück gehabt. Ich hoffe, dass mir der Schutzengel auch weiterhin zur Seite steht.«
Janet nickte. »Ja, das hoffe ich auch für Sie«, flüsterte sie dann. »Es muss einfach etwas passieren.«
»Sie sagen es.«
»Aber ich bleibe hier, John.«
»Das möchte ich Ihnen auch geraten haben. Sie dürfen sich draußen nicht blicken lassen. Das ist nicht Ihre Welt. Bei mir liegen die Dinge anders.«
Ich war schon an der Tür, da hörte ich ihre leise Frage. »Haben Sie sich schon mal vorgestellt, John, wie mein Mann nach all den Jahren aussehen könnte?«
Ich blickte zurück. »Nein, darüber habe ich nicht nachgedacht. Es ist jedoch alles möglich, Janet. Auch mit Hilfe einer anderen Welt, daran müssen Sie auch denken.«
»Ja, das ist wohl wahr. Denken Sie bitte daran, dass Tommy für mich sehr wichtig ist. Alles andere ist zweitrangig. Ich möchte nur Tommy zurückhaben.«
»Sie werden ihn bekommen.«
Nach dieser Antwort verließ ich das Zimmer. Ich hatte mich der Frau gegenüber optimistisch verhalten. Ob sich dieser Optimismus auch auszahlen würde, das wollte ich mal dahingestellt sein lassen.
Draußen empfingen mich die Dunkelheit und die Stille der Nacht. Das aus den Fenstern streuende Licht reichte nicht weit.
Es verteilte sich kaum auf dem Boden.
Ich dachte noch über das Gespräch nach und war davon überzeugt, dass es Tommy geschafft hatte, mit seinem Vater Kontakt aufzunehmen. Er war bei ihm, er würde mit ihm sprechen, und er würde ihn natürlich zu Gesicht bekommen.
Aber wie?
Als Mensch? Als Monster? Als ein Wesen, das in zwei Welten zugleich existieren konnte? Das es geschafft hatte, die Tür zu einer anderen Welt zu öffnen?
Es war alles möglich, und ich merkte, wie es in meinen Fingerspitzen leicht kribbelte. Ich blieb stehen, weil mir plötzlich etwas eingefallen war.
Ich hatte Suko nicht gesehen!
Okay, ich hatte nicht unbedingt damit rechnen können, dass er auf mich wartete. Er musste zum Gartenhaus gegangen sein und war mir so voraus. Es hielten sich auch keine anderen Gestalten in der Nähe
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