1239 - Bilderbuch des Schreckens
beschützen mich. Irgendwann wird die Zeit kommen, in der alle Bilder das Buch verlassen können. Beim nächsten oder übernächsten Vollmond.« Tommy streckte seine Hand aus und wies auf Suko.
Sein noch junges Gesicht hatte einen Schatten bekommen und ließ ihn älter wirken.
»Du bist der Böse! Du bist der Eindringling. Du bist gekommen, um alles zu zerstören. Das weiß ich. Ja, das weiß ich. Aber ich lasse das nicht zu, und mein Vater wird…«
»Dein Vater ist tot!«
»Nein!«
»Schau ihn doch an. Er ist ein Skelett. Er lebt nicht mehr. Er wird zusammenbrechen. Er ist ein Monster, Tommy! Willst du denn bei einem Monster bleiben?«
Tommy war von den Worten hart getroffen worden. Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er drehte sich zur Seite und schaute seinen Vater an.
»Dad! Daddy! Melde dich. Ich weiß, dass du das kannst. Verlasse das Reich der Geister! Komm zu mir und beschütze mich. Du hast das Buch. Darin sind noch so viele Beschützer und…«
»Ich glaube nicht, dass dein Vater dir helfen kann!«, meldete sich eine fremde Männerstimme, die Tommy so überraschte, dass er schlagartig verstummte.
Und dann schob sich der fremde Mann aus dem dunkleren Hintergrund mit langsamen Schritten nach vorn…
***
Somit hatte ich meinen Auftritt!
Genau bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich gewartet, um möglichst viele Informationen zu bekommen. Es war laut genug gesprochen worden, und so hatte ich jedes Wort verstanden, um Bescheid zu wissen.
Es war hier vor langer, langer Zeit eine Kultstätte gewesen.
Ein Tor zum Reich der Geister, die im Paradies der Druiden lebten, hinter dem sich durchaus das Land Aibon verstecken konnte.
Ein Buch war geschaffen worden. Ein Buch mit Bildern der Wesen, die es schon damals gegeben hatte.
Die Hexe, der Kobold, der Waldmann und der Spiegelmann, der in meiner Nähe stand und dessen Glasplättchen leicht funkelten.
Mein Auftritt hatte Suko und auch Tommy zum Schweigen verdammt. Suko nickte mir zu, denn er hatte mit mir gerechnet, aber Tommy war völlig von der Rolle. Er konnte nicht mehr an seinem Platz stehen bleiben und wich langsam zurück.
»He, he, wer bist du? Verdammt, du bist…«
»Ich komme von deiner Mutter, Tommy!«
»Du auch?«, schrie er, »du auch?«
»Ja.«
»Was willst du?«
»Dich wieder zu ihr zurückbringen!«
Tommy schüttelte hektisch den Kopf und begann zu schreien.
Erst als er diesen Frust losgeworden war, fand er die Worte, die er mir entgegenschrie. »Ich will nicht zurück! Nicht jetzt! Ich komme zu ihr, wann es mir passt. Ich bin bei meinem Vater, und hier bleibe ich auch. Verstanden?«
»Nein, Tommy, dein Platz ist zu Hause!«
Ich sah, dass Suko mir zunickte. Er war bereit, den Kampf aufzunehmen. Die drei Gestalten gehörten nicht in unsere Welt hinein. Sie waren existent und hatten trotzdem keine Berechtigung, existent zu sein. Dieses Tor musste geschlossen werden, denn Tommy sollte von der geheimnisvollen Druidenwelt nicht so geholt werden wie sein Vater. Es war schrecklich für denjenigen, der für alle Ewigkeiten in Aibon verschollen war.
So etwas konnte ich nicht zulassen.
Die Hexe drehte sich mir zu. Wahrscheinlich hatte sie mich als gefährlicheren Gegner eingestuft. Dabei trug ich nicht mal mein Kreuz. Es hatte sich auch nicht erwärmt, denn es reagierte nicht auf die alte Druidenmagie.
Dann hörten wir eine Stimme.
Fern und zugleich nah. Sie klang menschlich, aber sie war stark verändert. Sie schien aus einer tiefen Gruft in die Höhe geweht worden zu sein. Dumpf und grollend, von einem leichten Donner unterlegt. Man musste schon sehr genau hinhören, um sie verstehen zu können.
»Du bist mein Erbe, Tommy, mein Erbe…«
»Ja, Dad, das bin ich. Und ich werde…«
Eine Knochenhand schlug eine Seite zurück. Dann noch eine, und plötzlich brauste ein Sturm durch das Verlies.
Ich hörte das Heulen. Ich spürte, wie mich etwas erfasste und um die eigene Achse drehte. Was mit Suko geschah, sah ich nicht, aber ich wurde nicht direkt angegriffen.
Die Faust aus Wind schleuderte mich zurück, bis ich mit dem Rücken gegen die Wand prallte, und dann trat etwas ein, mit dem ich nicht gerechnet hatte.
Charles Olden holte seine Helfer zurück. Er hatte die Seite nach rückwärts geschlagen und damit etwas ausgelöst, gegen das wir uns nicht anstemmen konnten.
Die Hexe, der Spiegelmann und auch der Waldmann verloren den Kontakt mit dem Boden. Wie Puppen wurden sie in die Höhe geschleudert und wirbelten durch das
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