124 - Die weisse Frau vom Gespensterturm
folgsam. Auch ohne Spritze. Oder besser, Schwester
Ava: nur noch ohne Spritze. Er reagiert auf den Befehl augenblicklich. Unter
einer Bedingung allerdings: Der Befehl muss von meiner Stimme kommen. Dann
funktioniert es phantastisch, nicht wahr? Was mit dem Hirn eines Irren alles
möglich ist, wenn man es nur darauf einrichtet... Die stärksten Drogen werden
ihm nichts mehr anhaben können, aber auf meine Stimme wird er entweder
blitzartig stehen bleiben oder losgehen wie eine Rakete. Er versteht nur zwei
Worte. Zurück und Los. Aber das genügt um die Maschine in Gang zu bringen ...
Ich habe in der Tat einen interessanten Mechanismus entdeckt. Meine Entdeckung
wird vielen Kranken helfen, ohne Medikamente auszukommen, wenn sie unter ein
bestimmtes Codewort gestellt werden. Auch Ärzte, Schwestern und Pfleger werden
es einfacher haben, mit diesen Menschen umzugehen. Das ist alles noch in der
Erprobung, und ich weiß nicht, wie es ausgeht. Aber es ist ein neuer und vor
allem ein gangbarer Weg, den ich beschreiten werde. Vorausgesetzt, dass solche
Leute wie eine gewisse Schwester Jane ...“, und mit diesen Worten wandte er
sich Morna Ulbrandson zu, „nicht ihren Einfluss geltend machen. Ich ahne seit
Tagen, dass etwas in der Luft liegt, und mein Gefühl hat mich nicht getrogen.
Ich nehme an, dass wir beide eine interessante Unterredung haben werden.“
Er fuhr mit
gespreizten Fingern durch das weich fließende, seidig schimmernde blonde Haar
der Schwedin. „Ich glaube, dass Sie mir viel erzählen werden. Es muss doch
einen Grund haben, weshalb Sie eine dunkle Perücke tragen ... Schlechter
Haarwuchs kann nicht die Ursache sein. Sie haben wunderschönes Haar. So etwas
muss man nicht verstecken ...“ Er streckte ihr die Hand entgegen.
Morna
Ulbrandson hatte das Gefühl, von einer riesigen Qualle eingeschlossen zu sein.
Sie nahm ihre Umgebung nicht mehr richtig wahr. Ihre Haut war taub, sie hörte
alle Geräusche wie durch Watte und registrierte ihre Umgebung wie durch einen
klebrigen Schleier, der vor ihren Augen hing. Sie war seltsam antriebslos. Das
hochdosierte Medikament beeinflusste Hirn und Nerven und ließ sie zu einer
Marionette werden. Sie konnte nicht gegen das Gefühl der Übelkeit und Trägheit
ankämpfen, das sie ganz gefangengenommen halte. Sie hatte keine
Widerstandskraft mehr. Instinktiv spürte sie, dass es verkehrt war, die
dargebotene Hand zu ergreifen und dem Mann zu folgen, der sie führte. Es war
nur ein sehr flüchtiger Gedanke an Flucht, der ihr Bewusstsein kaum und ihre
Muskeln erst recht nicht erreichte. Morna Ulbrandson schwebte in einem Zustand
zwischen Wachsein und Träumen. Sie ging wie auf Eiern. Mit ihrem
eingeschränkten Blickfeld registrierte sie den Korridor in seiner Breite, durch
den sie schritt. Nur wenige Meter vom Ort des Geschehens entfernt befand sich
eine Tür. die lediglich angelehnt war. Von diesem Zimmer aus war Dr. Brennan im
Krankentrakt aufgetaucht. Ganz tief in ihrer Erinnerung glaubte Morna
Ulbrandson zu empfinden, dass dieses Zimmer heute Abend wie an den anderen
Abenden davor auch verschlossen war. Brennan musste dahinter gelauert und auf
die Freilassung Henry Parker-Johnsons gewartet haben. Wenn dies so war, warum
alarmierte er jetzt niemand, um den Fliehenden mit Gewalt zurückzuholen?
Entweder hielt er es nicht für notwendig - oder er wusste bis zur Stunde nichts
von den wahren Hintergründen, weil er sich möglicherweise zu diesem Zeitpunkt
noch nicht in dem betreffenden Raum aufgehalten hatte.
Morna
Ulbrandson, die in besonderer Mission in dem Nervensanatorium weilte, war nicht
in der Lage, ihre Gedanken weiterzuspinnen. Es schien, als sei ihr
Gedankenstrom durch eine Barriere unterbrochen. Sie wurde geführt, folgte dem
seltsamen Arzt auf Schritt und Tritt und hörte seine Stimme. Was Brennan alles
sagte, wusste Morna nicht immer. Sie bekam nicht alles mit. Ihre Gedanken
machten seltsame Sprünge, und ein Name fiel ihr ein: Larry Brent. Der Freund
war in den Plan eingeweiht, und er würde schnell merken, dass etwas schiefgegangen
war, wenn sie nicht am vereinbarten Treffpunkt eintraf. X-RAY-3 tauchte als
Hoffnung in ihren Überlegungen auf. Aber er war weit weg und konnte nicht
ahnen, was der verbrecherische Leiter dieses Nervensanatoriums mit ihr im
Schilde führte.
Schon waren
diese Überlegungen wieder weg, ehe sie sie richtig greifen konnte. Ein neuer
Gedanke wurde in der Tiefe wach. Sie hatte doch den als Globus ausgebildeten
goldenen Anhänger! In
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