1240 - Das Knochenkreuz
den, Gebeinen von Toten zusammengesetzt worden, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Weshalb sonst sind einige Knochen zu Staub zerfallen? Wenn man es übertrieben auslegen will, dann kann man sagen, dass dort Heilige und Dämonen zusammengekommen sind. Aus ihren Knochen wurde das Kreuz gebaut.«
Weder Suko noch die Kommissarin widersprachen. Und so lag es an mir, die Sache voranzutreiben. Ich hatte auch das Gefühl, mich beeilen zu müssen, denn draußen wurde, es immer dunkler, und auch in der Kirche nahm die Ausdehnung der Schatten zu, wobei schon ein seltsames Licht entstand und den Knochen eine andere Farbe gab. Die bleichen Gebeine dunkelten nicht richtig ein, sie erhielten eine etwas andere Farbe. Sie waren an manchen Stellen bleich und schienen von innen zu leuchten, was natürlich nicht stimmte, aber als Betrachter konnte man den Eindruck bekommen, von unheimlichen Boten aus dem Totenreich beobachtet zu werden. Die leeren Augenhöhlen der unzähligen Schädel wirkten wie die kleinen Eingänge von Tunneln, in denen sich all das Grauen versteckte, das die andere Welt parat hielt.
Wohl war mir nicht dabei. Ich sah es als einzige Sicherung an. Wenn van Akkeren selbst erschien, um sich das Knoche nkreuz zu holen, würde er vor meinem zurückschrecken, denn dieses Kreuz hasste er, das wusste ich genau.
Ich musste mir nur noch eine Stelle aussuchen, an der es nicht sofort entdeckt werden konnte.
Es stand noch immer schief und war leicht ineinander gesackt. Die Stellen, wo die Knochen verglüht waren, fielen nicht mehr auf, denn sie waren ausgefüllt worden.
Etwa in Höhe der beiden seitlich hochwachsenden Totenschädel drückte ich das Kreuz in eine Lücke hinein. Dabei drehte ich es, sodass es mit der schmaleren Seite des Balkens in die Lücke zwischen zwei Knochen hineinpasste.
Ein wenig Druck musste ich schon ausüben, dann hatte ich es geschafft. Es war nicht ganz verschwunden, aber man musste schon sehr genau hinschauen, um es zu entdecken.
»Bist du jetzt zufrieden?«, hörte ich Sukos Frage.
»Nicht ganz. Aber es ist die beste Möglichkeit, die uns blieb, finde ich.«
»Okay, wie du willst.« Auch er schaute sich die Stelle an wie jemand, der sie sich genau merken wollte. Als er sich dann umdrehte und den Weg, freigab, nickte er mir zu und fragte:
»So, und jetzt sag mir, was du dir weiterhin gedacht hast.«
»Wir werden die Kirche verlassen.«
»Weiter.«
»Aber in der Nähe bleiben und Acht geben, was passiert.«
»Womit rechnest du?«
»Ich warte darauf, dass sie kommen und das Kreuz holen.«
Damit war Suko nicht ganz einverstanden. »Gehen wir mal davon aus, dass sie es tatsächlich als Trophäe haben wollen, warum, so frage ich dich, haben sie es sich nicht schon längst geholt, nachdem sie den Pfarrer getötet haben?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Vielleicht hatten sie nicht die Gelegenheit dazu. Es kann durchaus sein, dass sie von uns gestört worden sind. Oder von anderen. Sodass sie jetzt warten, bis wir wieder die Kirche verlassen haben, was wir auch machen werden, aber wir werden in der Nähe bleiben und abwarten.« Ich wandte mich an Annica Dobel. »Weißt du, wo es hier einen guten Platz gibt, von dem aus wir die Kirche im Auge behalten können?«
Sie kam näher und warf dem Kreuz einen scheuen Blick zu.
»Da wüsste ich nur den Friedhof.«
»Trotz der Mauer?«, fragte Suko.
»Ja und nein. Es gibt Stellen, an denen man gut über sie hinwegschauen kann.«
»Ist es das, John?«
»Genau das ist es.«
»Dann lass uns nicht länger warten.«
***
Zu dritt verließen wir die Knochenkirche und waren dabei sehr vorsichtig. Wir schauten uns in der näheren Umgebung um und rechneten auch damit, angegriffen zu werden, aber nichts passierte. Die Schatten waren da und hatte sich auch über die Häuser von Hora gelegt. Sie hüllten die Hügel ein und machten die Wälder noch dunkler. Weit im Westen sahen wir einen rosafarbenen Schein am Himmel, der letzte Gruß einer untergehenden Sonne, ansonsten zeigte der gesamte Himmel graue und fahle Flecken, die sich zu einem Muster zusammengewebt hatten. Der Wind fühlte sich unangenehm kalt auf der Haut an. Bei diesen Temperaturen ging der Regen in Schnee über. Es würde bestimmt nicht mehr lange dauern, bis die weißen Flocken vom Himmel fielen.
Auch Annica Dobel dachte daran. »Es wird bald Schnee geben«, sagte sie mit leiser Stimme und schaute sich den Himmel an. »Ich kenne dieses Bild und weiß auch die Kälte
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