1240 - Das Knochenkreuz
an die Nische heran. Sie schaute sich das Knochenkreuz genau an und flüsterte mit rauer Stimme:
»Es ist jetzt noch da, aber es steht schief. Kann es nicht sein, dass es zusammenbricht und sich so von allein zerstört?«
»Nein«, sagte Suko. »Das wäre schon längst passiert.«
Ich war ebenfalls seiner Meinung. Es würde auch weiterhin in der Nische bleiben, auch wenn es seine Haltung verändert hatte. Durch das Ausglühen der Knochen in der Mitte war es von mir aus gesehen leicht nach links gekippt, aber es stand noch in der Nische, wie von nicht sichtbaren Fäden gehalten.
Zwischen den langen Knochenspeichen, die den Schädel umgaben, fehlte der Halt ebenfalls, aber auch dort war nichts ab - oder zusammengebrochen. Gerade jetzt schien das Gebilde aus Trotz stehen bleiben zu wollen, um es allen zu beweisen.
Das halbmondförmige Gebilde an der Unterseite hatte seine Form behalten, und auch die beiden Schädel sahen so aus wie immer.
Annica ging zur Seite und schüttelte immer wieder den Kopf.
»Das… das… kann ich noch immer nicht begreifen, obwohl ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Es ist verrückt, ehrlich. Das kann man mir nicht erklären.« Sie wollte lachen, aber ihr Gesicht verwandelte sich in eine Grimasse.
»Nimm es hin«, sagte Suko nur und lächelte selbst. »Jedenfalls haben wir der anderen Seite einen Riegel vorgeschoben. Ich bin gespannt, wie sie reagieren, wenn sie es sehen.«
»Glaubst du denn, dass sie noch mal kommen?«, fragte Annica.
»Darauf kannst du dich verlassen.«
»Wenn sie nicht schon in der Nähe sind«, sagte ich.
»Okay, was machen wir?«
Die Kollegin hatte eine gute Frage gestellt, über die ich auch schon nachgedacht hatte. Die andere Seite würde nicht aufgeben und versuchen, an das Knochenkreuz heranzukommen, auch wenn bestimmte Gebeine nicht mehr dazugehörten.
Aus diesem Grund musste das Kreuz gesichert werden, und dabei schoss mir ein schon irrwitziger Plan durch den Kopf, der riskant und wirkungsvoll zugleich war.
Suko, der mich beobachtet hatte, fragte: »Was geht in deinem Kopf vor, John?«
»Ich möchte der anderen Seite eine Falle stellen.«
»Super. Und wie?«
Als Antwort griff ich in die Tasche und holte das Kreuz hervor.
»Damit?«
»Genau!«
»Und wie hast du dir das vorgestellt, John?«
Mit dem Talisman in der Hand drehte ich mich zu dem Knochenkreuz hin um. Was ich vorhatte, bedeutete nicht, zugleich auch einen Erfolg zu haben, aber es war immerhin eine Möglichkeit. »Ich könnte es durch mein Kreuz sichern, indem ich es zwischen die Knochen oder die Gebeine stecke. Und zwar so, dass es nicht so schnell entdeckt werden kann. Farblich unterscheiden sie sich ja kaum.«
Suko konnte meinen Plan nicht nachvollziehen. Er schüttelte den Kopf und meinte zugleich: »John, du bist verrückt.«
»Kann sein. Aber nur so kommt man weiter!«
Er streckte mir seine Hände entgegen. »Aber das Kreuz ist deine wichtigste Waffe.«
»Schon, Suko. Nur erinnere ich mich an Zeiten, die noch gar nicht so weit zurückliegen. Da habe ich ohne mein Kreuz gegen Justine Cavallo und Dracula II gekämpft.«
»Und du hättest den Kampf fast verloren, wenn nicht eine gewisse Nora Thorn eingegriffen hätte. Aber die kannst du jetzt beim besten Willen nicht herbeizaubern.«
Ich grinste ihn an, obwohl mir nicht danach zumute war.
»Heute habe ich dich als Schutzengel.«
Suko versuchte nicht mehr, mich davon abzuhalten. Er zuckte die Achseln und meinte nur: »Du musst es wissen. Du bist erwachsen genug.«
»Inzwischen schon.«
Annica Dobel hatte sich nicht in unser Gespräch eingemischt.
Sie stand im Hintergrund und nestelte an ihrer Brille, die sie mal vor- und mal zurückschob.
Dabei schaute sie uns etwas verlegen an, und sie kam mir auch nervös vor.
»Hast du Angst?«, fragte ich sie.
»Das weiß ich nicht genau. Es ist schon komisch. Aber ihr beide seid die Fachleute. Ich bin nur so etwas Ähnliches wie eine Statistin und nicht mehr.«
»Das kannst du auch nicht sagen. Du steckst mittendrin. Und Kinderkram ist dies auch nicht, denn damit gibt sich die andere Seite nicht ab. Das hast du bei Karel Kollek erlebt.« Ich wechselte das Thema. »Das Kreuz ist für die andere Seite wichtig«, erklärte ich. »Zwar fehlt mir der hundertprozentige Beweis, aber es gibt Situationen, da kann ich mich auf mein Gefühl verlassen. Andere Knochen hier in der Kirche werden sie in Ruhe lassen. Außerdem haben sie sich nicht zu derartigen Gebilden geformt. Und es ist aus
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