1240 - Das Knochenkreuz
Jeder ist ein Individuum für sich, Annica.«
»Tut mir Leid, aber dieser Philosophie kann ich nicht folgen. Was meinst du damit?«
»Ich gehe mal davon aus, dass die Knochen, aus denen das Kreuz hergestellt wurde, eben nicht von einer Person stammen. Auch damals hat es schon sehr gläubige Menschen gegeben. Ich will nicht sagen, dass sich ein Heiliger darunter befand, aber möglicherweise ein Mensch, der der Kirche und dem Glauben sehr zugetan war, sodass es für die Seite des Bösen ein gewaltiger Erfolg ist, wenn sie an diese Reliquien herankommt. So sehe ich das.«
»Puh, das ist aber ein Hammer.«
»Nur eine Vermutung.«
»Kann natürlich sein.«
»Etwas anderes«, sagte Suko und schob sich vor. Er deutete auf das Knochenkreuz. Mit dem rechten Arm fuhr er von oben nach unten. »Wie wäre es denn, wenn du es einem Test unterziehst? Kreuz gegen Kreuz. Erst dann kannst du wirklich davon ausgehen, dass es auch okay ist, oder?«
»Super Idee.«
Annica hatte nichts begriffen. »Bitte«, sagte sie mit leiser Stimme. »Was meint ihr damit?«
»Ich besitze ebenfalls ein Kreuz. Man kann es mit diesem hier nicht vergle ichen, aber es ist schon einmalig in seiner Art. Und es ist eine Art von Indikator, der anzeigt, mit welchen Kräften wir es hier möglicherweise zu tun haben. Wenn sich in dem Kreuz irgendetwas befindet, das einen dämonischen Ursprung hat, dann finde ich es durch mein Kreuz heraus.«
Sie schüttelte den Kopf, bevor sie sprach. »Andere hätte ich ja ausgelacht, aber euch nicht. Ich kann mich nur immer wundern, und nehme auch alles hin, was ich sonst nicht getan hätte.«
»Es ist nicht weiter tragisch. Du wirst dich nur ein wenig wundern, nehme ich an.«
»Gut, dann versucht es.«
Dass ihre Stimme nicht überzeugt geklungen hatte, konnte ich verstehen, es war eben nicht ihre Welt. Deshalb trat sie auch zurück und überließ uns das Feld.
Ich holte das Kreuz hervor und merkte das spannende Gefühl, das sich in mir ausgebreitet hatte. Wie oft hatte ich einen ähnlichen Test durchgeführt. Manchmal mit Erfolg, manchmal ohne, und hier hatte ich nicht mal den Hauch eines Beweises.
Ein Kreuz konnte nicht schlecht sein.
Normalerweise nicht…
Von der Seite her beobachtete Annica Dobel gespannt meine Bewegungen, die sich eigentlich nur auf eines konzentrierten.
Ich fasste an meinen Nacken und bekam dort die schmale Kette zu fassen.
Sekunden später hatte ich die Kette über den Kopf gestreift.
Jetzt lag das Kreuz auf meiner linken Handfläche, und Annica hielt es im Hintergrund nicht mehr aus. Sie musste einfach näher treten und sehen, was passierte.
Zunächst geschah nichts. Das Kreuz lag auf meiner Hand, und Annica konnte es anschauen. Ich sah, wie sich ihre Augen weiteten und sich auch der Mund öffnete, aber zunächst bekam sie kein Wort hervor und konnte nur staunen.
»Das ist ja, das ist ja…«
»Auch einmalig«, sagte ich.
»Und wunderschön«, flüsterte sie.
»Stimmt.«
Da das Knochenkreuz eine gewisse Höhe besaß, war es mir unmöglich, das Ende zu erreichen, wo sich der große Schädel befand. Ich würde im unteren Teil beginnen müssen, um dann darauf zu hoffen, dass irgendetwas passierte.
Wenn nicht, mussten wir uns etwas anderes einfallen lassen.
Nach wie vor war ich davon überzeugt, dass dieses Knoche nkreuz eine verdammt wichtige Rolle spielte.
Wir hatten uns schon eine Weile in der Kirche aufgehalten, das machte sich auch an den Lichtverhältnissen bemerkbar.
Draußen schwamm das Tageslicht allmählich weg und wurde von den ersten Vorboten der Dämmerung eingeholt. Es sah aus, als würden die bleigrauen Kirchenfenster das Licht zurückhalten, denn allmählich wanderten die Schatten durch das Kirchenschiff.
Die Kollegin konnte sich nicht mehr zurückha lten. Das Kreuz hatte sie fasziniert. Sie trat so nahe wie möglich an mich heran.
»Bitte, John, woher stammt es? So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Es ist prächtig.«
»Und sehr alt«, sagte ich. »Wie alt?«
»Vergessen wir das. Wichtig sind die Kräfte, die darin wo hnen, und sie sind in der Lage, sich gegen das Böse zu stemmen, gegen die Hölle, gegen Dämonen und Wesen der Finsternis. Es symbolisiert den Sieg des Lichts über die Finsternis.«
»Ja, das verstehe ich.« Sie trat wieder zurück und beobachtete mein Tun von der Seite her. Es war wie immer ein spannender Anblick. Wie oft hatte ich schon derartige Tests durchgeführt, aber es war immer wieder neu für mich. Wo sollte ich
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