1240 - Das Knochenkreuz
die verschlungenen Wege fuhr, aber niemals den Friedhof als Ziel hatte.
Wer wartet, dem wird die Zeit lang. Ich hoffte, dass wir hier nicht Stunden stehen mussten, denn dazu hatte ich keine Lust.
Aber ich war nach wie vor davon überzeugt, dass jemand kommen würde.
Ich wollte nach Annica schauen, die sich lange nicht mehr gemeldet hatte. Vorsichtig drehte ich mich um. Es bestand sehr leicht die Gefahr, auf der glatten Fläche abzurutschen.
Sie stand nicht mehr an ihrem Platz.
Komisch…
»Annica!«
Auch auf meinen leisen Ruf hin gab sie keine Antwort. Sie schien sich wirklich aus dem Staub gemacht zu haben. Als mir dieser Gedanke kam, stieg mir das Blut in den Kopf.
»Ist sie weg?«, fragte Suko.
»Anscheinend.«
»Verflixt, warum das denn?«
»Keine Ahnung.«
Es war uns beiden ein Rätsel, und wir begannen, uns Sorgen zu machen. Sie hätte wenigstens etwas sagen können, dass sie sich zurückziehen wollte.
Ich hielt es auf meinem Platz nicht mehr aus und sprang zu Boden. Auch jetzt tauchte Annica nicht auf, und ich merkte, dass sich in meinem Innern Ärger und Sorge ausbreiteten. Es war ja nicht viel zu sehen. Meine suchenden Blicke glitten über die schattigen Gräber hinweg, von denen sich schwach die Kreuze, Steine oder Figuren abhoben, es aber keine Bewegung gab.
Viel Hoffnung hatte ich nicht, trotzdem rief ich noch mal ihren Namen. Das hätte ich mir schenken können, denn mein Ruf verwehte, ohne dass ich eine Antwort erhielt.
Suko schaute nach unten und sah, wie ich den Kopf schüttelte. »Sie ist tatsächlich verschwunden.«
»Mist. Warum?«
»Kann ich dir auch nicht sagen. Wir haben ihr keinen Grund gegeben. Ich kann mir nur denken, dass sie plötzlich Angst bekommen hat. Aber das hätte sie uns auch sagen können.«
»Eben.«
Allmählich stiegen meine Sorgen an, und ich dachte darüber nach, ob ich den Friedhof nach ihr absuchen sollte. Er war nicht sehr groß. Sie hätte ihn längst wieder verlassen können, um irgendwohin zu gehen.
Aber wohin?
Das genau war die Frage, und ich merkte, wie es in meinem Innern immer mehr kribbelte. Abgesehen von dem Friedhof, kamen noch zwei weitere Möglichkeiten in Betracht.
Ich dachte an die Kirche und an den Ort. Die Kirche hätte sie auch durch einen anderen Eingang betreten können, den es auch noch gab, aber was hätte sie allein dort gewollt?
Dass mir ein kalter Hauch über den Rücken fuhr, war ganz natürlich, und ich wollte Suko den Vorschlag machen, uns zu trennen, als er sich meldete.
»Da kommt jemand!«
»Was?« Ich kletterte wieder zu ihm. »Wo?«
»Ein Auto!«
Ich wusste, wohin ich zu schauen hatte. Es gab für uns nur die Strecke, die zum Ort führte. Und von dort hatte sich tatsächlich ein Fahrzeug gelöst. Der Wagen selbst war nicht zu erkennen, dafür aber die beiden hellen Augen der Scheinwerfer, die sich auf unsere Richtung eingependelt hatten.
Das Ziel konnte nur die Kirche sein!
Wir warteten ab. Ich dachte auch daran, dass wir mit einem Fahrzeug gekommen waren. Es parkte nicht weit von der Knochenkirche entfernt. Die Ankömmlinge mussten es einfach sehen und konnten sich dann einen entsprechenden Reim darauf machen.
Gut sah das nicht aus…
Aber wir behielten den Wagen im Blick. Die Strecke war nicht unbedingt eben. Mal senkte sie sich, mal beulte sie sich aus. Das war uns bei der Herfahrt kaum aufgefallen, jetzt erkannten wir es an den Bewegungen der Scheinwerfer.
Es war ein dunkles Fahrzeug, das sich dem Friedhof näherte.
Wir erkannten die Automarke nicht.
Beide zuckten wir leicht zusammen, als der Fahrer das Fernlicht einschaltete. Es leuchtete den Rest der Strecke bereits aus und hinterließ auf dem Gemäuer der Kirche einen blassen Schein. Es traf auch den abgestellten Opel, aber darum kümmerte sich der Fahrer nicht. Er lenkte sein Auto dem Ziel entgegen, und beinahe sah es so aus, als wollte er in die Kirche hineinfahren.
Das tat er nun doch nicht. Er rollte nur am Opel vorbei und stoppte einige Meter weiter.
Das Licht verschwand. Die Dunkelheit senkte sich wieder über das Gebiet um die Knochenkirche herum. Ich hatte noch gesehen, dass es ein dunkler Volvo war, ein Kombi, und ich ging davon aus, dass wir es nicht nur mit einer Person zu tun hatten, die in diesem Fahrzeug saß.
»Sie werden sich das Kreuz holen«, flüsterte Suko. »Ich bin nur gespannt, mit wie vielen Typen wir es zu tun haben.«
»Mindestens zwei.«
»Sehr gut.«
Es vergingen einige Sekunden, bis die beiden vorderen Türen
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