1240 - Das Knochenkreuz
mir den Knochen an, den Orel Krasna mir hinhielt.
Dass es der Knochen eines Tiers war, glaubte ich nicht. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, ihn mir zu zeigen. Er war sicherlich alt, glänzte nicht und seine Oberfläche sah leicht rau aus.
»Okay«, sagte ich, »ist der für mich?«
Krasna kicherte. »Wenn Sie ihn haben wollen, ich habe nichts dagegen einzuwenden. Aber er ist der Grund, weshalb ich mich mit Ihnen hier treffe, Sinclair.«
Ich blieb sehr ruhig, aber wenn ich neugierig geworden war.
»Sie wissen, wer ich bin, Krasna?«
»Klar, das weiß ich.«
»Dann müsste Ihnen auch bekannt sein, dass ich mich durch einen Knochen nicht stören lasse. Er ist nichts Besonderes für mich. Es sei denn…«, fuhr ich fort, »… dieser Knochen hat eine Geschichte. Da sehen die Dinge schon anders aus.«
Krasna reckte sein Kinn vor. »Hören Sie doch auf, Sinclair. Glauben Sie denn, ich würde Ihnen den Knochen zeigen, wenn ich ihn hier irgendwo ausgebuddelt hätte?«
»Wäre ja möglich.«
»Ist es aber nicht. Ich habe ihn mitgebracht. Aus meiner Heimat. Aus Tschechien.«
»Und weiter?«
Jetzt lachte er. Die nächste Frage stellte er flüsternd. »Raten Sie mal, Sinclair, wo ich ihn gefunden habe.«
»Normalerweise findet man Gebeine auf dem Friedhof. Aber da Sie mir die Frage in einem bestimmten Tenor gestellt haben, kommt dieser Fundort wohl nicht in Frage.«
»Genau.«
»Ich warte…«
Seine Augen hatten einen ungewö hnlichen Glanz bekommen, als er mich anblickte. Beim Sprechen bewegte er seine Lippen dann sehr langsam. »Ich habe den Knochen in einer Kirche gefunden, Sinclair. In einer Kirche. Verstehen Sie jetzt?«
»Nein. Oder ja. Auch ein Knochenfund in oder unter einer Kirche ist nichts Besonderes.«
»Stimmt. Nur steckt diesmal mehr dahinter. Es ist der Knochen aus einer Knochenkirche.«
»Aha.«
»Mann, Sinclair«, regte er sich auf. »Denken Sie mal nach. Aus einer Knochenkirche. Sie ist mit den Gebeinen von über vierzigtausend Toten dekoriert. Verstehen Sie jetzt?«
Nein, ich begriff nicht. Verstanden hatte ich es wohl, und ich schüttelte langsam den Kopf.
»Knochen. Schädel. Gebeine. Was immer Sie wollen. Das alles verteilt sich in dieser Kirche. Es ist ein Wahnsinn. Es ist einmalig. Es hat Geschichte. Es hängt mit den Pesttoten und den Leichen zusammen, die in den Silberminen starben. Aber das ist Vergangenheit. Wichtig ist, dass es die Knochenkirche jetzt noch gibt. In meiner Heimat, in Tschechien, und Sie können sich darauf verlassen, dass dieser verdammte Knochen aus der Kirche stammt.«
»Das glaube ich Ihnen gern, Krasna. Aber was habe ich damit zu tun? Was soll ich mit dem Knochen aus der Kirche? Das will mir nicht in den Kopf. Da müssen Sie schon deutlicher werden.«
»Keine Sorge, das werde ich auch. Diese Kirche ist wirklich etwas Einmaliges auf der Welt.«
»Kann ich mir denken.«
Er blickte mich aus schmalen Augen an. »Und Sie haben bisher noch nie etwas von der Knochenkirche gehört?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Komisch. Aber ist egal. Es gibt genügend andere Personen, die etwas von ihr gehört haben. Für sie ist die Kirche verdammt interessant. Sie vermuten etwas darin, und möglicherweise haben sie Recht. Und jetzt hören Sie mir genau zu, Sinclair. In dieser Kirche besteht auch der Schmuck aus Knochen oder Gebeinen. Das Tollste daran ist das fast zwei Meter große Kreuz aus Knochen, das Knochenkreuz. Fast wie eine Monstranz aussehend, ein kleines Kunstwerk. Etwas Besonderes, das von den Besuchern der Kirche mit nahezu gruseliger Andacht bestaunt wird. Ein sehr wichtiges Stück ist dieses Knoche nkreuz. So wichtig, dass sich eine Gruppe von Leuten dafür interessiert hat.«
»Kunsträuber?«
Orel Krasna lachte mich an. »Wenn es das mal wäre. Nein, nein, das sind keine Kunsträuber. Das sind verdammt gefährliche Typen, vor denen ich großen Respekt habe.«
»Aber Sie wissen Bescheid, oder?«
»Ja.«
»Und?«
»Ich stamme aus dem Ort, der in der Nähe liegt. Ich bin praktisch mit der Knochenkirche aufgewachsen. Okay, ich bin nicht eben ein Mensch, der in den Himmel kommt, aber vor gewissen Dingen habe ich Respekt. Da lasse ich auch die Finger davon, und manches ist mir sogar heilig, auch wenn Sie mich jetzt auslachen. Aber wenn es um meine Heimat geht, kenne ich kein Pardon.«
»Kommen Sie endlich zur Sache.«
»Bin bereits dabei. Ich habe gehört, dass das Kreuz gestohlen werden soll.«
Die Antwort war noch nichts, was mich vom Hocker
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