1251 - Die Heilige und die Hure
eingeschaltet, und wenig später rollten wir von der Bahn auf den kleinen Parkplatz zu. Ich sah ein Toilettenhaus, einige Bänke und Tische. Dahinter eine Grünfläche und zur Autobahn hin eine kahle Buschgruppe.
Vor uns stand ein Lieferwagen mit geschlossener Ladefläche. Kein Mensch war zu sehen, auch der Fahrer des anderen Wagens nicht. Wahrscheinlich befand er sich auf der Toilette.
Sylvia hustete noch immer. Es war nicht mehr so tragisch, da wir standen. Sie schüttelte den Kopf, und neben ihr war Julie Ritter ziemlich ratlos. Bis sie der Freundin einige Male auf den Rücken schlug, weil sie annahm, dass sich Sylvia verschluckt hatte.
Der Wagen besaß- keine elektrischen Fensterheber. Auf der rechten Seite kurbelte Julie die Scheibe nach unten, um frische Luft in den Innenraum zu lassen.
Ich saß auf dem Rücksitz und hatte keinen weiteren Kommentar abgegeben. Auch weil ich das Gefühl hatte, dass irgendetwas nicht stimmte. Es gab keinen Beweis, der Hustenanfall war mir doch ein wenig zu plötzlich gekommen, und er verschwand auch jetzt nicht, denn wieder wurde die Frau förmlich durchgeschüttelt.
Sie löste den Gurt. Ihr Gesicht war hochrot. Ich sah es, als sie sich zur Seite beugte.
»Mu… muss… mal raus!«
»Warte, ich gehe mit dir!«
Julie stieg ebenfalls aus. Nur ich blieb noch sitzen. Es war eine völlig normale Szene. Trotzdem traute ich ihr nicht über den Weg. Irgendetwas passte mir, überhaupt nicht in den Kram. Ich dachte daran, dass Sylvia in der Wohnung nicht einmal gehüstelt hatte, und jetzt war es wie eine Explosion über sie gekommen.
Sie stand neben der Kühlerhaube, hielt mir den Rücken zugedreht und hustete. Den Oberkörper hielt sie dabei nach vorn gedrückt. Bei jedem Hustenanfall wurde er geschüttelt. Ratlos hielt sich Julie Ritter neben ihrer Freundin auf.
Auch ich verließ den Twingo. An der linken Seite lag die Bahn. Dort rauschten die Autos vorbei.
Ansonsten War es ruhig. Es bewegte sich auch niemand in unserer Nähe, sodass mein Misstrauen eigentlich durch nichts begründet schien.
Bis auf den parkenden Wagen!
Er war blau gestrichen. Er sah eigentlich völlig normal aus. Mir gefiel nur nicht, dass ich keine Menschen in seiner Nähe entdeckte. Dafür hörte ich Julies Fragen, die sich besorgt erkundigte, ob es Sylvia besser ging.
Sie hob den Kopf. Das Gesicht war gerötet und auch verzerrt. Die Augen quollen nach vorn. Die Lippen schimmerten feucht, und sie versuchte, sich zu erklären.
Es war nicht gut, dass wir Zeit verloren. Da hatte uns das Schicksal schon einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Ich blieb stehen, als ich Julies Frage hörte: »Kannst du denn fahren, Sylvia?«
»Weiß nicht.« Die beiden Worte brachte sie noch hervor, dann erstickte ein weiterer Hustenanfall jegliches Sprechen.
Ich war einen langen Schritt auf die Frauen zugegangen, um aus der Nähe zu sehen, was mit Sylvia Servais geschehen war. Sie hatte den Kopf nach hinten gelegt. Das Gesicht gehörte nicht mehr ihr.
Es war so schlimm verzerrt, und dann traf es mich wie ein Hieb.
Zuerst wollte ich es nicht glauben, doch dann hatte ich den Eindruck, auf Sylvias Gesicht ein zweites zu sehen. Es malte sich dort wie ein Schatten ab, als wäre es aus dem ersten hervorgekrochen. Es war nicht so klar, dass ich es hätte beschreiben können, und es konnte auch sein, dass ich es mir nur einbildete. Aber in unserer Lage musste man eben mit allem rechnen, und so musste ich mich darum kümmern.
Julie Ritter schaute mich verständnislos an. Sie wusste sich keinen Rat mehr. Doch ihr Gesichtsausdruck veränderte sich ebenfalls von einer Sekunde zur anderen.
Sie erschrak tief.
Sie wollte etwas sagen, was sie nicht konnte, denn der Schreck hatte sie stumm werden lassen.
Ich sah nur, dass sie an mir vorbeischaute und dort etwas Schreckliches sehen musste.
Blitzschnell fuhr ich herum und war trotzdem zu langsam. Die beiden Türhälften des Wagens hatten sich geöffnet. Nach draußen stürmten mehrere Männer, die auf uns zurannten.
Ich sah sie wie Schatten kommen. Ich wollte noch reagieren und meine Waffe ziehen, doch es war bereits zu spät.
Etwas wischte auf mich zu und traf meinen Kopf. Es war ein Treffer, der an meiner rechten Kopfseite entlangschrammte, aber so hart war, dass er mir das Bewusstsein raubte.
Zuletzt hörte ich noch das scharfe Lachen der Sylvia Servais, dann verloschen für mich die Lichter…
***
So wie ich sahen keine Sieger aus. So wie ich benahmen sich auch keine Sieger.
Weitere Kostenlose Bücher