1251 - Die Heilige und die Hure
ich muss gerade daran denken, was ich in den letzten Stunden alles erlebt habe. Und plötzlich muss ich reisen und…«
»Ja, das geht nicht anders.«
Sie schaute an sich herab. »Ich habe nichts zum Anziehen. Ich habe keine Kosmetik mit. Nicht mehr als hundert Euro und…«
»Darüber mach dir keine Sorgen. Das erledige ich. Was du an Ersatzkleidung benötigst, können wir in Brüssel auf dem Flughafen kaufen. Alles kein Problem.«
»Willst du nach Brüssel mit dem Zug fahren?«
»Ich denke schon. Allerdings würde ich gern von dir wissen, ob wir es mit einem Taxi schneller schaffen.«
»Das kann ich dir nicht sagen, aber um die Hauptstadt herum ist immer viel Verkehr.«
»Gut, dann nehmen wir den Zug und fahren mit dem Taxi nur bis zum Bahnhof.« Ich lächelte ihr zu.
»Auch das ist kein Problem.«
»Und die Templer auch nicht?«
»Das ist eine andere Geschichte, Julie. Ich hoffe, dass sie unsere Spur verloren haben. Bis jetzt haben sie sich nicht gezeigt, und das lässt mich hoffen.«
Es klopfte etwas zaghaft gegen die Tür. Sie wurde geöffnet, und Sylvia schaute in das Zimmer.
»Alles klar?«, fragte sie.
»Bei mir schon«, sagte ich.
Julie lief auf ihre Freundin zu und umarmte sie. »Es ist alles okay, Sylvia. Danke… danke für alles.«
»He, he«, protestierte sie, »das hört sich ja sehr nach einem Abschied an.«
»Ja, wir werden dich auch verlassen.«
»Darf ich fragen, wohin ihr gehen wollt?«
»Nein«, sagte ich. »Sei uns nicht böse, aber es ist besser für dich, wenn du es nicht weißt. Betrachte unser Eindringen als Episode. Zudem sind wir dir sehr dankbar, dass du uns deine Wohnung zur Verfügung gestellt hast.«
»Nun mal nicht so förmlich, John. Was ist denn los?«
»Wir müssen so schnell wie möglich weg.«
»Warst du zufrieden?«
»Sehr.«
»Das freut mich. Julie sieht auch etwas lockerer aus. Vorhin, als sie die Wohnung betrat, da hatte ich das Gefühl, es wäre etwas Schreckliches geschehen.«
»Das ist fast so gewesen.«
»Und was?«
Ich schüttelte den Kopf. »Je weniger du weißt, desto besser. So, und jetzt sind wir lange genug geblieben. Wir werden uns ein Taxi bestellen.«
»Unsinn. Ich kann euch doch auch fahren. Wo wollt ihr denn hin? Oder ist das ein Geheimnis?«
Julie schaute mich fragend an. Als ich nickte, gab sie die Antwort. »Wir wollen zum Bahnhof.«
»Kein Problem für mich. Und dann?« Sie lächelte breit. »Wollt ihr vielleicht nach Brüssel?«
»Bravo, du hast es erfasst.«
»Mit dem Wagen sind wir schneller.«
Als wir nichts sagten, wandte Sylvia sich an ihre Freundin. »Komm, stell dich nicht so an. Ich fahre euch nach Brüssel, das ist ja keine Entfernung.«
Julie schaute mich an. »Was sagst du?«
»Meinetwegen.«
»Super, ich ziehe mich nur eben um.«
Sie verschwand wie der Blitz und ließ uns allein. So richtig zufrieden war ich nicht, aber es wäre Sylvia gegenüber ungerecht gewesen, sie jetzt außen vor zu lassen. Deshalb stimmten wir zu, dass sie uns fuhr.
Julie trat ans Fenster und schaute nach draußen. Natürlich hatten wir unsere Verfolger nicht vergessen, aber sie entdeckte sie nicht.
»Ich glaube, die haben aufgegeben, John.«
»Das will ich auch hoffen.« Ich hatte mich wieder gesetzt und das Handy hervorgeholt. Es war wichtig, dass ich Godwin de Salier über unser Kommen informierte. Dann konnte er vielleicht einige Vorbereitungen treffen.
Er hatte schon auf meinen Anruf gewartet. Ich war mir nicht sicher, aber ich ging davon aus, dass Rennes-le-Château eine wichtige Rolle in diesem Fall spielte.
»Vermutest du dort die Gebeine?«
»Das kann ich dir nicht sagen, aber wir müssen jeder Spur nachgehen.«
»Gut.« Er lachte. »Dass es so nahe an Alet-les-Bains liegen soll, hätte ich nicht gedacht. Da sieht man ja den Wald vor lauter Bäumen nicht, John.«
»Das ist eben menschlich.«
»Gut, ich werde hier einiges vorbereiten. Gib nur noch Bescheid, wann ihr ankommt.«
»Das werde ich.«
Sylvia Servais kehrte zurück. Sie hatte sich umgezogen und einen Mantel übergestreift. »Meinetwegen können wir fahren.«
»Super, dann los.«
So locker wie ich war Julie Ritter nicht. Sie hielt den Blick gesenkt, und ich konnte mir vorstellen, dass ihr Kopf voller trüber Gedanken steckte. Es war auch verdammt nicht leicht, mit einem derartigen Schicksal fertig zu werden…
***
Shao sah ihren Freund aus großen Augen an. Erst schüttelte sie den Kopf, dann lächelte sie. »Wenn ich dich so betrachte, komme ich zu dem
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