1251 - Die Heilige und die Hure
denn bei dem Fall in der versunkenen Kirche hatte er mir leider nicht helfen können.
Die Bahn stoppte.
Mein Blick nach draußen. Aufatmen. Es standen keine Polizisten bereit, die auf uns warteten. Die Tür hatte sich kaum geöffnet, als ich mit Julie die Bahn verließ und mit ihr zusammen in ein großes Kaufhaus lief, um dort alle Spuren zu verwischen…
***
Man roch das leicht faulige Wasser des Kanals, obwohl er nicht zu sehen war und hinter dem Haus herfloss, in dem Julie Ritter wohnte. Nach vorn hin standen die Häuser weniger in einer Straße, als in einer Gasse. Häuser pressten sich dicht an dicht und sahen aus wie eine gut renovierte mittelalterliche Kulisse, die auch farblich etwas zu bieten hatte. Grüne, rote und auch gelbliche Töne bedeckten die Hauswände. Erker und kleine Fenster bildeten Muster, und an den Dächern sah ich die Hebelgalgen, die einfach zu diesen schmalen Häusern gehören mussten, um schwere Objekte zu transportieren.
Hier war der niederländische Einfluss schon zu merken, und mir gefiel es.
Der Fahrer des Taxis hatte uns zwei Ecken zuvor abgesetzt. Das war so gewollt. Sollten sich tatsächlich Verfolger an unsere Fersen geheftet haben, so hätten wir sie jetzt entdecken müssen, aber das war zum Glück nicht der Fall.
Julie Ritter hatte ihren Schock noch immer nicht überwunden. Sie hatte sich die Zeit über bei mir eingehakt, und ich merkte, dass sie leicht zitterte. Allerdings riss sie sich auch zusammen, denn über ihre Lippen drang kein Wort, das auf Furcht hingedeutet hätte. Sie beschwerte sich nicht und deutete nur die Straße hinunter.
»Wir müssen sie fast bis zum Ende durchgehen.«
»Alles klar.«
Wir liefen durch eine Einbahnstraße. Autos parkten nur wenige in dieser Gasse. Und wenn, dann brachten sie Waren, die in Geschäfte geladen wurden. Sie drängten sich in die unteren Etagen der Häuser, und man bekam fast alles in ihnen. Es gab auch winzige Lokale. Zumeist gepachtet von Asiaten, aber ich sah ebenfalls Bistros und kleine Cafés.
Viel Betrieb herrschte um diese Jahreszeit nicht. Im Sommer, das konnte ich mir gut vorstellen, war diese pittoreske Gegend sicherlich ein Anziehungspunkt für Touristen, aber bei kaltem Wind und bleigrauem Himmel blieb man lieber zu Hause.
Aus einer offen stehenden Tür drang der Duft nach Kaffee ins Freie. Ich schnupperte, und Julie hörte es. »Möchtest du einen Kaffee trinken?«
»Wäre nicht schlecht.«
»Den können wir auch bei mir trinken.«
»Einverstanden.«
Wir sprachen nicht über das eigentliche Thema, doch jeder von uns war gedanklich damit beschäftigt. Auch ich wusste noch nicht, wie es weitergehen sollte. Da musste uns noch etwas einfallen.
Immerhin setzte ich darauf, dass uns möglicherweise Godwin de Salier mit neuen Informationen weiterhelfen konnte.
Julie wohnte in einem Haus, das ebenso schmal war wie die anderen. Jemand hatte der Fassade einen leicht grünlichen Anstrich verpasst. Die Farbe hatte schon Patina angesetzt, an einigen Stellen war sie auch abgeblättert. Alles war, schmal, irgendwie auch schief, und zur Haustür führten zwei Stufen hin. Die Tür selbst lag in einer Nische.
Julie atmete auf. Sie konnte wieder lächeln, als sie nach ihrem Schlüssel fingerte. »Das war eine Etappe, nicht wahr?«
»Klar. Und die nächsten schaffen wir auch noch.«
»Ich weiß nicht, John«, sagte sie leise. »Ich weiß überhaupt nichts mehr, und ich weiß zudem nicht, was ich noch denken soll, denn in den letzten Stunden hat sich mein Leben radikal verändert. Das ist, als wäre ich gepackt und in ein anderes Leben hineingestellt worden. So etwas habe ich noch nie erlebt.«
»Lass uns erst mal reingehen.«
»Wir müssen ganz nach oben.«
»Das Treppensteigen gehört zu meinen leichtesten Übungen.«
Julie schloss die Haustür auf. Ein schmaler Flur tat sich vor uns auf, der zudem nur mäßig beleuchtet war, denn das Licht fiel durch sehr kleine Fenster.
Die Treppe war schmal, die Stufen hoch. Alles in der Nähe war mit zwei Schritten zu erreichen, auch die schmale Wohnungstür hier unten. Wir hörten Kinderstimmen. Zugleich lief Musik.
Julie ging vor. Wir passierten die erste Etage, es gab noch eine zweite, die ebenso aussah, dann wurde die Treppe noch schmaler, denn sie führte hoch bis zum Dach.
Ich dachte dabei an die recht geringe Höhe des gesamten Hauses und ging davon aus, dass wir nicht zu weit vom Dachboden entfernt waren.
»Die Wohnung hat schräge Wände, John. Denk immer daran,
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