1253 - Angst vor dem eigenen Ich
wenig Resonanz auf ihre Ausführungen erhalten.
Bei John Sinclair war das anders gewesen. Ihn hatte jemand geschickt. So hatten sie sich gesucht und gefunden, und letztendlich war der Fall für sie auch gut ausgegangen.
Bis zum heutigen Morgen eben! Da hatten die Zeiten der Pubertät voll zurückgeschlagen. Plötzlich stand sie in einem Mittelpunkt, den sie sich nicht ausgesucht hatte. Es war wie ein Schlag unter die Gürtellinie gewesen, den sie noch immer nicht verdaut hatte.
Ihre Freunde verlangten viel von ihr. Sie hätte auch ablehnen können, aber sie hatte zugestimmt, obwohl sie nicht hundertprozentig davon überzeugt war.
Zurück?
Julie überlegte. Das hätte sie gekonnt. Es wäre ihr von John Sinclair und den anderen auch nicht übel genommen worden, aber es wäre für sie nicht vorbei gewesen. Es ging so oder so weiter. Dem Schicksal kann man nicht entrinnen.
Der Gedanke wühlte sie so auf wie nie zuvor in ihrem Leben. Ihr war eine bestimmte Rolle zugedacht worden, und das Wissen darum veränderte auch ihr Inneres.
Sie begann zu frieren. Der leichte Kältestoß breitete sich überall in ihrem Körper aus. Er kroch den Rücken hoch und endete an ihrem Hals. Sie fühlte sich plötzlich so steif. Auch wenn sie es gewollt hätte, sie hätte sich aus eigener Kraft kaum bewegen können.
War es wieder soweit?
Julie öffnete den Mund. Es war an der Zeit, jemanden zu rufen. Sie wäre auch liebend gern aufgestanden, um Hilfe zu holen, doch das gelang ihr nicht.
Sie saß auf dem Bett. Sie erinnerte immer mehr an eine Tote, denn es bewegte sich nichts mehr. Das Gesicht war ebenfalls erstarrt. Darüber lag ein fremder Zug.
Julie fühlte sich wie eine Gefangene. Trotzdem hatte sich ihr Blickwinkel erweitert. Er war offener geworden, doch das lag nicht an ihr, sondern an der anderen Gestalt.
Es war sie! Aber es war sie irgendwie doch nicht! Jedenfalls befand sie sich nicht im Hellen, sondern in der Düsternis unter der Erde, in einem Stollen…
***
Ich schaute länger als gewöhnlich auf den Knochensessel unter dem Fenster des Büros, das einmal dem Abbé gehört hatte und jetzt, nach seinem Tod, auf Godwin de Salier übergegangen war.
Konnte der Sessel mir helfen? Würde er mich in die richtige Richtung transportieren?
Ich wusste es nicht. Ich wollte es auch noch nicht ausprobieren. Möglicherweise kam die Zeit noch, aber jetzt war Julie Ritter wichtiger als alles andere.
Godwin hatte uns nicht grundlos in sein Büro geführt, in dem es nicht nur einen Schreibtisch und Stühle gab, sondern auch jede Menge Bücher in den Regalen.
Suko und ich wussten, dass Freund Godwin ein Büchernarr war. Da glich er irgendwie der Horror-Oma Sarah. Er las für sein Leben gern, und aus dem Internet, das er ebenfalls wie ein Buch benutzte, holte er sich auch viele Informationen, um möglichst auf einer Höhe mit den veröffentlichten Forschungsergebnissen der Wissenschaft zu sein.
»Ich habe nachgedacht«, hatte er uns gesagt und uns dann in sein Büro geführt.
Ich drehte mich vom Knochensessel weg und schaute Godwin an, der neben seinem Computer stand.
Er war das krasse Gegenteil zum Knochensessel.
»Worüber hast du nachgedacht, Godwin?«
»Über das Phänomen, das unsere Freundin erlebt hat.«
Suko, der auf einem Stuhl saß, sagte nichts, schaute jedoch ein wenig skeptisch.
»Und? Bist du zu einem Ergebnis gelangt?«
»Nein, John, das bin ich nicht. Aber ich könnte auf dem Weg dahin sein.«
»Ich bin ganz Ohr.«
Er warnte mich. »Leg es nicht auf die Goldwaage, noch nicht. Wir können auch eine Pleite erleben. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. So müssen wir auch an den Fall herangehen.«
»Dann fang an.«
Eine Antwort erhielt ich nicht. Godwin rollte sich den Stuhl zurecht und nahm vor dem Computer Platz.
Eingeschaltet war der Apparat. Ich war gespannt, was er zeigen würde.
»Lange zu suchen brauche ich nicht«, erklärte uns der Templer. »Es liegt erst einige Tage zurück, da bin ich quasi durch einen Zufall auf diesen Bericht gestoßen, den ich in einem Magazin las, das es nicht nur als Print gibt, sondern auch im Internet vertreten ist. So kann man die Berichte wunderbar nachlesen.«
»Super.«
»Es dauert auch nicht zu lange.«
Ich schaute auf die Uhr. »Denk daran, dass wir noch einen Schützling haben.«
»Ich weiß.«
Suko und ich sprachen ihn nicht mehr an. Wir waren wirklich gespannt, ob uns seine Informationen weiterhalfen. Vorstellen konnte ich es mir, denn Godwin war kein
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