1253 - Angst vor dem eigenen Ich
welchem Grund Godwin plötzlich zu lachen anfing, aber ich erfuhr ihn sehr bald, denn er sprach davon, dass sich gerade meine Landsleute mit dem Phänomen beschäftigt hätten.
»Davon ist mir nichts bekannt.«
»Kann ich mir denken. Du bist auch kein Leser medizinischer Fachzeitschriften.«
»Das soll wohl sein. Was haben sie denn genau herausgefunden?«
»Moment.« Godwin beugte sich wieder vor. Auf dem Bildschirm huschte der Text weiter, sodass er die nächsten Seiten lesen konnte. Wir gaben ihm Zeit, beobachteten ihn aber und erlebten auch, dass er einige Male den Kopf schüttelte.
»Also«, sagte er dann, »es ist so, dass den Opfern ihre Doppelgänger oft grau und diffus erscheinen, aber in der Mehrzahl schon farbig und leibhaftig. Nur konnte sich niemand daran erinnern, ob diese Doppelgänger auch einen Schatten geworfen haben.«
»Werfen Geister einen Schatten?«, fragte Suko.
»Keine Ahnung. Ihr seid die Fachleute.«
Suko überging das Lob einfach. »Lies mal weiter.«
»Gut, verlassen wir uns auf die Aussagen. Es gibt Fälle, da sind die Spiegelbilder stumm und tun gar nichts. Andere Zeugen berichten davon, dass die Gestalten sie nachgeäfft haben, dabei bewegten sie sich dann spiegelbildlich.«
»Sagenhaft«, murmelte ich, um dann zu fragen: »Wie haben denn die echten Menschen reagiert? Taten Sie etwas?«
Godwin musste leise lachen. »Das ist genau der Punkt, auf den ich zu sprechen kommen wollte. Diese Doppelgänger lassen den normalen Menschen nicht an sich herankommen. Sie bleiben stets außerhalb der Reichweite. Diesen Aufzeichnungen zufolge ist es also noch keinem gelungen, seinen Doppelgänger anzufassen.«
»Super«, stöhnte ich.
»Und dann ist da noch etwas«, sagte der Templer. »Sie erscheinen meistens in der Dämmerung oder beim Morgengrauen. Der Grund ist hier nicht aufgeführt. Darüber gibt es nicht mal Spekulationen. Bei manchen erscheinen sie nur ein oder zwei Mal im Leben. Bei anderen Personen aber über längere Zeit immer und immer wieder. Tja, das ist eine Tatsache, die ich mir nicht aus den Fingern gesaugt habe.« Er deutete auf den Bildschirm. »Ihr könnt es schwarz auf weiß nachlesen.«
»Glaube ich dir«, sagte ich und ordnete meine Gedanken. »Mit einer Bilokation hat das nichts zu tun oder?«
»Nein, John. Davon war hier nicht die Rede. Sie halten sich zwar an zwei verschiedenen Orten auf, bleiben dabei allerdings auf Sichtweite und sind nicht meilenweit voneinander entfernt.«
Suko meldete sich zu Wort. »Ich habe den Eindruck, dass hier alles zusammenkommt. Auf der einen Seite die Heautoskopien, auf der anderen die Bilokation, dann das Erscheinen des Astralleibs, aber eine perfekte Erklärung ist das auch nicht.«
»Da hast du Recht, Suko.«
»Und welcher Ansicht sind die Wissenschaftler?«
»Tja, sie haben sich zunächst mal geeinigt, ohne die direkten Ursachen herausfinden zu können. Hinter den Halluzinationen verbergen sich nach Ansicht der Experten oft psychische Erkrankungen. Hysterie, Schizophrenie oder auch Depressionen. Es können auch organische Leiden oder Hirnschädigungen sein.«
»Bravo«, sagte ich. »Haben wir es dann bei Julie Ritter mit einer Kranken zu tun?«
»Das möchte ich nicht beurteilen. Aber ihr erschien die Doppelgängerin auch am frühen Morgen, und wir können davon ausgehen, dass sie Stress genug gehabt hat.«
»Klar, John. Dennoch muss sie anfällig sein. Ich denke daran, dass auch ihr verdammt viel Stress in eurem Job habt. Aber ist euch das schon mal passiert?«
»Nein, nie.«
»Bei mir auch nicht«, fügte Suko hinzu.
»Was tut man denn dagegen?«, wollte ich wissen. »Wie will man den Menschen helfen?«
»Man versucht es in den entsprechenden Neurokliniken mit einer Basisdiagnostik. Computertomografien, Hirnströme werden gemessen, auch Drogentests gehören dazu. Es gibt aber auch Patienten, die an Hirnkrankheiten leiden und berichten, dass sie ihren Doppelgänger bereits über Jahre hinweg gesehen haben. Auch bei hohem Fieber nehmen Patienten jemanden wahr, der neben ihrem Bett steht, obwohl er in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Es hängt mit dem Hirn zusammen, das kann man schon jetzt behaupten. Außerdem treten die Phänomene am häufigsten bei Migräneopfern auf. Bei Epileptikern gilt dies auch, und man glaubt auch, dass der weltberühmte Autor Dostojewski seinen Roman ›Der Doppelgänger‹ unter diesem Eindruck geschrieben hat. Da muss er sich die Bilder, die ihn ängstigten, von der Seele geschrieben
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