1253 - Angst vor dem eigenen Ich
bei mir bleiben?« Sie fragte es so erstaunt, als könnte sie mir kein Wort glauben.
»Ja, natürlich.«
»Das kann lange dauern. Ich meine, es geht schon über Jahre hinweg. Wie soll ich jetzt…«
»Keine Sorge, wir geben auf dich Acht, Julie. Dein Fall ist auch unser Problem. Außerdem könnte es auch einen Zusammenhang mit dem Phänomen der Maria Magdalena geben.«
»Ja, daran habe ich auch schon gedacht«, flüsterte sie, »weil es jetzt wieder aufgetreten ist.«
»Am liebsten wäre es mir, wenn es dir gelingen würde, das Phänomen zu lenken.«
»Ach so. Du meinst, dass ich mich verändere, wann ich es will?«
»Ja. Daran habe ich tatsächlich gedacht.«
Nahezu traurig schaute Julie uns beide an. »Ich glaube nicht, dass es möglich sein wird. Ich kann das nicht steuern. Das müssen wirklich andere Kräfte übernehmen. Ich stehe neben mir. Ich habe keine Kraft, versteht ihr?«
Das war uns klar. Mein Wunsch würde sich nur schwerlich erfüllen lassen, und auch Suko schaute recht skeptisch. Aber man muss alle Möglichkeit durchchecken.
»Hast du dir Gedanken darüber gemacht, wie der Tag heute für dich ablaufen soll?«, erkundigte sich Suko.
»Nein, nicht wirklich.« Sie schaute sich um. »Das hier ist ja nicht mein Zuhause. Ich lebe hier nicht. Ich bin nur zu Besuch. Deshalb denke ich mir, dass ich mich wieder auf den Rückweg mache. Ich möchte zurück nach Gent, weil ich denke, dass ich dort in Sicherheit bin, wo es doch meine Verfolger nicht mehr gibt. Dieser… dieser van Akkeren ist doch verschwunden - oder?«
»Ja, das ist er.« Suko konnte es nur hoffen, ebenso wie ich. Wir hofften auch, dass er so bald nicht mehr zurückkehren würde. »Aber da wäre noch ein zweites Problem…«
Julie Ritter winkte ab. »Ich weiß, was du meinst, du denkst an den Schacht und an die Gebeine.«
»Genau!«
In Julies nächster Frage schwang das Erstaunen mit, und wir sahen, dass sie schon jetzt eine Gänsehaut bekam. »Willst du wirklich an sie heran? Oder sie aus dem Schacht herausholen?«
»Mit dem Gedanken habe ich tatsächlich gespielt, Julie. Und John könnte es ähnlich ergangen sein oder?«
»Stimmt.«
Julie überlegte und schloss für eine Weile die Augen. »Muss ich das denn?«
»Nein«, sagte ich leise, »du musst nichts. Aber es könnte in deinem Interesse sein.«
»Das weiß ich nicht. Das muss ich mir noch genau durch den Kopf gehen lassen. Die Gebeine haben so lange dort unten gelegen. All die Jahrhunderte hinweg. Warum sollen sie jetzt aus dem Schacht geholt werden? Was habe ich davon?«
»Das musst du selbst entscheiden«, meinte auch Suko.
Sie senkte den Kopf. »Ja, mal sehen. Aber ich habe hier nicht das Sagen. Wir sind nur als Gäste bei den sehr netten und menschlichen Templern. Für mich sind sie erstrangig.«
»Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel«, erklärte ich. »Wir werden auch mit ihnen sprechen, so etwas steht außer Frage. Wir wollten nur darauf hinweisen, welche Möglichkeiten es noch gibt.«
Julie hatte antworten wollen, sie kam jedoch nicht dazu, denn von der Tür her hörten wir ein Räuspern. Als wir die Köpfe drehten, sahen wir den Mann, der sich entschlossen hatte, die große Küche zu betreten. Es war Godwin de Salier…
***
Er lächelte, als er sich unserem Tisch langsam näherte. Aber dieses Lächeln sah mir schon recht gezwungen aus, und es blieb auch so bestehen, als er uns begrüßt und neben Julie Ritter Platz genommen hatte.
»Ich sehe, ihr habt schon gefrühstückt.«
»Du auch?«, fragte ich ihn.
»Klar.« Er nickte. »Aber ich möchte da auf etwas zurückkommen, wenn ich darf.«
»Immer. Du bist hier der Chef.«
»Hör zu, John. Ich meine etwas ganz anderes. Es war mehr Zufall oder zuerst nur, aber ich habe diesen Zufall dann für mich eingesetzt und bin in der Nähe der offenen Tür stehen geblieben. So habe ich euer sehr aufschlussreiches Gespräch mit anhören können. Es war in der Tat außergewöhnlich, und ich habe damit, wenn ich ehrlich bin, noch jetzt meine Probleme.«
»Hast du denn auch eine Meinung?«, fragte Suko.
»Natürlich.« Godwin schaute Julie an. »Ich glaube dir. Ich glaube dir jedes Wort.«
»Danke«, flüsterte sie.
Er winkte ab. »Bitte, du brauchst dich nicht zu bedanken. Das ist selbstverständlich. Ich möchte da auch nichts wiederholen, weil es einfach reicht, was gesagt wurde. Aber über eines habe ich schon näher nachgedacht.« Er machte es spannend, denn er lächelte über den Tisch hinweg und sagte
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