1255 - Böser schöner Engel
Stellen nicht richtig zugeben, dass es Vorgänge gab, die mit dem normalen Verstand nicht zu erklären waren. Man ließ die beiden gewähren, aber man beobachtete sie auch misstrauisch, denn die Verantwortung für gewisse X-Akten wollte niemand übernehmen.
Ganz ausschalten konnte man sie nicht, denn es gab immer wieder Fälle, bei denen andere Menschen nur ratlos den Kopf schüttelten.
Zuletzt hatten Karina und ich die Kanal-Zombies gejagt, und da war es ähnlich kalt gewesen wie jetzt.
»Setz dich.«
»Danke.«
»Was willst du trinken?«
»Was hast du denn?«
»Nicht viel. Die große Wodka-Zeit ist bei uns vorbei. Aber ich glaube, dass Wladimir noch eine Flasche Whisky hat und…«
»Keinen Alkohol.«
Sie lächelte mich strahlend an. »Immer noch die gleichen Prinzipien, Geisterjäger?«
»Zumindest wenn ich im Dienst bin.«
Karina Grischin ließ sich auf den abgeschabten Ledersessel hinter ihrem alten Holzschreibtisch fallen, der so wuchtig war, dass dahinter jeder recht klein wirkte. Aber es standen ein Computer und ein Drucker auf dem Schreibtisch, und einen Internet-Anschluss gab es natürlich auch.
»Und jetzt bist du im Dienst, John.«
»Ich weiß«, sagte ich und schlug die Beine übereinander. »Privat lädst du mich ja nie ein.«
»Oh! Höre ich da einen Vorwurf?«
»Nein, das war nur eine Feststellung.«
»Gut, aber darauf kommen wir noch zurück.« Ihre Miene wurde wieder ernst, und ich kannte auch den Grund. Es gab ein Problem, mit dem Karina Grischin nicht zurechtkam und auch nicht wusste, wie sie es anfassen sollte. Von offizieller Seite erhielt sie keine Unterstützung. Es glich schon einem kleinen Wunder, dass es ihr gelungen war, mich zu Hilfe zu holen, denn Wladimir Grischin war ja weggeholt worden.
Mir war der Fall auch nicht ganz klar. Ich wusste nur, dass in der Nähe von Moskau ein Engel aufgetaucht war. Zumindest wurde die junge Frau für einen Engel gehalten, und sie war in Russland sogar zu einem Medien-Ereignis geworden, aber Karina Grischin hatte mit dieser Person so ihre Probleme.
Da wir mit dem Taxi vom Flughafen hergefahren waren, hatten wir über den Fall nicht viel gesprochen. Das sollte sich hier im Büro ändern. Karina sagte noch nichts. Sie summte nur leise vor sich hin, zerrte das hohe Bund ihres blauen Rollkragenpullovers zur Seite und meinte: »Du hast Recht, hier ist es wirklich warm.«
»Sagte ich doch.«
»Dann öffne ein Fenster.«
Die beiden Fenster im Büro waren hoch, aber nicht zu breit. Sie ließen sich auch kippen, und wenn ich hinausschaute, dann sah ich die verschneiten Dächer in der Hauptstadt, ich sah auch den Kreml und die breiten Straßen, über die zahlreiche Autos fuhren wie Geisterschiffe, denn irgendwelche Geräusche waren kaum zu hören.
Ich war allein geflogen. Suko war in London geblieben, was vor allen Dingen Shao sehr gefallen hatte, denn unser Frankreich-Abenteuer hatte ihr gereicht.
»Ja«, sagte Karina und fuhr durch ihr Haar. In der anderen Hand hielt sie einen Schnellhefter, den sie schwenkte. »Hier habe ich einige Informationen sammeln können, und ich denke schon, dass dich der Fall interessieren könnte.«
»Ich weiß nur, dass es um eine junge Frau geht, die mit ihren Händen heilen kann.«
»Richtig.«
»Eine Wunderheilerin also.«
Sie grinste mich an. »Glaubst du das wirklich, John?«
»Ja, warum nicht?«
»Dann kennst du mich schlecht. Wenn es nur darum ginge, hätte ich dich nicht informiert. Nein, nein, hier geht es um etwas ganz anderes, was meiner Ansicht nach auch mit einer Wunderheilung zu tun hat, aber nicht so direkt.«
»Dann rück mal mit den Infos raus.«
»Immer der Reihe nach. Die junge Frau heißt Tamara. Niemand weiß, wo sie herkommt. Niemand weiß was mit ihr ist, aber ihre Taten haben sich herumgesprochen. Sie hat wirklich schwer Kranke geheilt, und das allein durch Streicheln, durch das Auflegen der Hände und durch Worte, die wie Beschwörungen klingen. So haben es die Zeugen gesagt, die bei diesen Heilungen anwesend gewesen sind. Und da alles so gut klappte, hat sie schnell ihren Namen weggehabt. Sie wird der Engel mit den heilenden Händen genannt und ist im ganzen Land bekannt geworden, weil sich die Medien auf sie gestürzt haben.«
»Das hat unsere Gesellschaft so an sich«, sagte ich. »Was ist denn noch passiert?«
»Etwas, das der Öffentlichkeit nicht so bekannt ist«, erklärte sie mir. »Es wissen nur Eingeweihte, und genau die haben ihre Probleme damit. Wie auch
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