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126 - Hinter der Grenze

126 - Hinter der Grenze

Titel: 126 - Hinter der Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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Fragen beantworten.
    »Ich… äh, glaube nicht, dass er uns mehr verraten würde«, sagte Jed nach einer Weile zu Aruula. Er benutzte stets die Sprache der Wandernden Völker, wenn er mit ihr sprach. Sie schätzte diese Höflichkeit.
    »Vielleicht weiß er nicht mehr«, antwortete sie. »Er hat keine Maschinen, die in den Körper hinein blicken können.«
    »Das ist wohl wahr.« Jed setzte sich auf einen Stein und nahm ein kleines Buch aus seiner Jackentasche. Der Wind war stärker geworden und zerzauste sein Haar. Schwarze Wolken verdeckten die Sonne.
    »Wudan schickt ein schweres Unwetter«, sagte Aruula.
    »Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
    Jed sah auf. »Zeit für was?«, fragte er. Sie sah hinaus auf den See zu dem Felsturm, der hoch aus dem Wasser ragte.
    »Du, äh, willst auf den See? Ich glaube nicht, dass man das im Dorf zulassen würde.«
    Jed klang halbherzig. Aruula hatte selbst gesehen, dass er immer wieder auf den See hinaus geblickt hatte. Er wollte ebenso zu dem Hüter wie sie, traute sich nur nicht, das auch zu sagen.
    »Das Schilf steht hoch. Sie würden es erst bemerken, wenn es zu spät ist. Ich habe ein Boot gesehen.«
    »Wirklich? Wo?«, fragte Jed interessiert, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein, wir, äh, können dort nicht hin. Das ist viel zu gefähr-hm-lich.«
    Er begann zu stammeln. Aruula hob die Augenbrauen.
    »Hast du Angst?«
    »Nein, ich, hm…« Er holte tief Luft. »Ja, ich habe Angst. Dass du, hm, dass du… du weißt schon, und ich könnte nicht… deshalb, hm, kann ich dieses…«
    Sie unterbrach ihn ungeduldig. »Ich gehe ohne dich, oder ich gehe mit dir. Du kannst mich nicht aufhalten.«
    Jed schwieg. Seine Finger berührten das Funkgerät, das Maddrax ihm vor dem Abflug gegeben hatte und das jetzt in seinem Gürtel steckte.
    »Nun, ich denke, wir, äh, können immer noch Hilfe anfordern, wenn es, hm, sein muss.«
    Aruula lächelte.
    ***
    Sommer 2060
    »U-u-u!« Rhythmisch wippte Snapper auf und ab, schlug sich an die Brust und brüllte seine Erregung heraus. Es klang nicht schön. Aber es war schön.
    Gestern hatte ein schweres Erdbeben endlich – endlich! – das steinerne Gefängnis zerbrochen. Nun hockte Snapper am Fuß der Felsformation und versuchte die Sinnesreize zu verarbeiten, die auf ihn einströmten. Er war mit den fallenden Steinen in eine ihm fremde Umgebung gepurzelt. Sie wirkte bedrohlich, und sie machte ihm Angst.
    Es war schrecklich kalt, trotz der tiefen Kratzer weiter hinten im Boden, aus denen heiße rote Masse quoll. Hier und da stiegen dünne weiße Säulen auf. In der Ferne grollte und rumpelte es beständig. Der Himmel war wie ein dunkles Loch, und die gelbliche Luft konnte man beinahe greifen. Sie stach, wenn Snapper sie einatmete.
    Rings um seinen mächtigen Felsenturm hatte sich eine Pfütze gebildet, die glänzte und sich überhaupt nicht bewegte.
    Snapper blieb mit der Zunge kleben, als er aus ihr zu trinken versuchte. Er kannte kein Eis. Enttäuscht schlug er nach dem vermeintlichen Feind, während er sein eigenes Blut schluckte.
    Ohne sich dessen bewusst zu sein, erzeugte der Bonobo jede Menge Körperenergie. Sie lud die Speicher seiner Nanobots auf.
    Achtundvierzig Jahre hatten ihn die winzigen Helfer intakt gehalten. Dass Snapper nicht verrückt geworden war in der langen Zeit und der klaustrophobischen Enge seines Gefängnisses, lag hauptsächlich daran, dass er dauernd starb.
    Jede Wiederbelebung kostete Energie. Und da es außer leiderprobten Kakerlaken praktisch keine Nahrung gab – also kaum Energie von außen – mussten die Nanobots auf körpereigene Ressourcen zurückgreifen. Bedient wurde deshalb nur, was zur Lebenserhaltung erforderlich war.
    Verrückt werden gehörte nicht dazu.
    Statische Entladungen zuckten knisternd über die Wolken aus Asche. Snapper warf sich herum und floh zurück an den Platz, der ihn so lange umschlossen hatte. Sein Instinkt log ihm vor, dass das Loch im Felsen eigentlich gar kein Gefängnis war – eher ein Nest. Menschen, die Singvögel in Käfige sperren, kennen dieses Phänomen. Man muss nur lange genug warten, dann wird die Freiheit zur Bedrohung und eine offene Tür verliert ihren Reiz.
    Snapper schmiegte sich an das kalte Gestein und schlang die Arme um den Körper. Leise Klagelaute kamen aus seiner Kehle. Er hatte Hunger und Durst, und er war so allein. Weit und breit gab es kein Leben – weder Gefährten noch Beute.
    Und doch war da etwas. Ein beständiges leises Ziehen unter der Haut. Als

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