1261 - Blut aus dem Jenseits
können. Der Hals sah ebenso aus wie alles andere an dem Körper und es war verdammt schwer, Bissstellen zu entdecken.
Mit dem bloßen Auge klappte das nicht. Ich fragte deshalb nach einer Lupe.
Als guter Beamter war auch Tanner damit ausgerüstet. Er griff in seine Tasche und holte sie hervor.
Es war eine Lupe, wie man sie schon zu Sherlock Holmes' Zeiten eingesetzt hatte. Ein großes gläsernes Auge, das stark vergrößerte.
Ich sah die Risse deutlich. Auch etwas anderes trat jetzt hervor. Die Haut war nicht mehr so glatt.
Sie hatte sich bei der Verbrennung verändert. Sie war grau wie Schiefer geworden und sah jetzt aus, als lägen die flachen hauchdünnen Stücke stückweise übereinander. Ich näherte mich immer mehr dem Hals und dachte daran, dass, wenn Suko mit seiner Vermutung Recht hatte, dieses Geschöpf möglicherweise nicht tot gewesen war. Erst mein Kreuz hatte es vernichtet.
Beweisen konnte ich das nicht und beließ es zunächst bei einer Vermutung. Aber es war auch nicht ausgeschlossen, und so suchte ich intensiv weiter.
Es gab auch an der linken Halsseite keine Stelle, die nicht geschwärzt gewesen wäre. Leider waren die beiden Bissstellen nicht zu entdecken, aber Suko war jemand, der sich nur selten irrte und so suchte ich weiter.
Ich wusste, wo die Vampire gern ihre Zeichen hinterließen, und darauf konzentrierte ich mich. Bisher hatte ich die Gestalt nicht ein einziges Mal angefasst. Das änderte ich nun und fuhr mit den Fingerspitzen dort entlang, wo ich die Zeichen vermutete.
Die dünne Haut ließ sich tatsächlich abschaben wie leichte Asche. Sie flockte davon und legte das frei, was sich bisher darunter verborgen hatte.
Zwei kleine Mulden im Hals. Keine rote Färbung, doch als ich mit den Fingern noch mal darüber hinwegstrich, war die Vertiefung deutlich zu spüren.
Hier hatte jemand zugebissen oder zugeschlagen. Seine Zähne in die Haut gebohrt, um möglicherweise einem Engelsblut Platz zu schaffen, damit es aus dem Körper heraussprudeln und getrunken werden konnte.
Ich ließ meine Fingerkuppen auf diesen kleinen Vertiefungen liegen. Es passierte nichts. Erst als ich einen bestimmten Druck ausübte, erlebte ich, wie brüchig die Gestalt war. Unter mir knirschte der Widerstand weg, und meine Finger drangen in den Hals hinein. Ich spürte weder Muskeln, Fleisch, noch irgendwelche Sehnen. Es gab auch kein Blut. Weder in der normalen Farbe noch in einer anderen. Unter der verbrannten Haut gab es nur eine leere Hülle.
Die Rätsel blieben, denn ich fragte mich, was der Angreifer dann getrunken hatte.
Langsam stand ich auf und schüttelte den Kopf. Ich blies mir selbst die Luft gegen die Stirn und nickte Suko dabei zu. »Du hast Recht gehabt. Ich habe tatsächlich an seiner linken Halsseite die beiden Bissstellen entdeckt. Ich gab Tanner die Lupe zurück und hörte seine Frage.«
»Was bedeutet das?«
»Kann ich dir nicht so genau sagen. Es könnte bedeuten, dass diese Gestalt, wer immer sie auch gewesen ist, von einem Blutsauger gejagt wurde. Einen hundertprozentigen Beweis haben wir auch nicht bekommen. Trotzdem gehe ich davon aus.« Ich deutete auf den Körper. »Außerdem ist er sehr brüchig. Fast wie Glas, das verdammt viele Jahre auf dem Buckel hat. Du solltest beim Transport aufpassen, obwohl das wahrscheinlich auch nichts bringt. Er wird verfallen.«
Tanner zog den Mund schief. »Auch wenn das so ist, ich werde es in meinem Bericht vermerken. Aber das alles ist nicht mehr mein Problem. Oder denkt ihr anders darüber?«
»Nein, das denken wir nicht, Tanner. Es ist unsere Sache, da Licht in das Dunkel zu bringen.«
»Prima. Dann bin ich aus dem Schneider. Kann ich trotzdem fragen, ob einer von euch schon so etwas wie eine Idee hat?«
Ich schüttelte den Kopf.
Auch Suko zuckte die Achseln.
»Aber ihr bleibt dran - oder?«
»Darauf kannst du dich verlassen«, erklärte ich.
Die Gestalt musste aus der Kirche weggeschafft werden. Tanner winkte seine Leute mit dem primitiven Sarg herbei und schärfte ihnen ein, sehr vorsichtig zu sein.
Das wird nicht reichen!, dachte ich. Aber ich behielt es für mich und schaute den Männern zu.
Sie gaben sich wirklich Mühe, aber es war nicht zu schaffen. Vor unseren Augen brach die Gestalt auseinander. Man konnte die Reste wirklich zusammenfegen, und wieder stellte sich mir die Frage, mit wem wir es hier zu tun gehabt hatten.
An einen normalen Menschen konnte ich einfach nicht glauben. An einen Engel, wie wir ihn kannten, aber auch
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