1264 - Justines Geisel
auf, und die Dunkelheit rauschte heran wie ein Sturzbach. Ich merkte noch, dass ich fiel, aber ich bekam nicht mehr mit, wie ich auf den Boden schlug, denn der Fall war so schrecklich endlos und riss mich hinein in tiefe Bewusstlosigkeit…
***
Suko hatte sich durchgeschlagen. Er war ein Mensch mit perfekten Instinkten. Er hatte seine Augen überall. Er konnte sich auf eine Umgebung einstellen und seinen Körper sensibilisieren. Er war kaum zu sehen, nutzte jede Deckung aus, und erst als er sicher war, nicht beobachtet zu werden, blieb er an einer Stelle des Zauns stehen, die recht weit vom Eingang entfernt lag.
Es gab einen Vorteil, der auf Sukos Seite lag. Der Inspektor kannte sich auf dem Gelände aus. Er musste nicht erst lange herumsuchen. Er wusste, wo sich das leere Fabrikgebäude befand und konnte es von verschiedenen Richtungen erreichen.
Wenn Justine Cavallo mitmischte, dann wurde es immer gefährlich. Auch das stand fest. Dementsprechend vorsichtig musste Suko zu Werke gehen, und er stieg mit geschickten Kletterbewegungen und so schnell wie möglich über den Bauzaun hinweg. An der anderen Seite sprang er zu Boden. Er hatte sich die Stelle genau ausgesucht, denn sie war eben. Es lagen keine Steine als Hindernisse herum.
Suko war federnd gelandet und schaute sich zunächst um. Es war noch nicht dunkel geworden, aber der Tag hatte seine Helligkeit bereits verloren, und die ersten Schatten senkten sich über das Gelände. Die Wege zwischen den Trümmerbergen wirkten wie dunkle, enge Schluchten. Es roch nach Verfall, nach altem Staub und aufgeworfener Erde.
Bei den Bauten, die noch standen, waren keine Fenster mehr vorhanden. Leere Höhleneingänge kennzeichneten die Fassaden, und Suko spürte, dass ein Schauer nach dem anderen über seinen Rücken hinwegrann. Ihm selbst war kalt geworden, und diese Kälte klebte auf seiner Haut fest. Die Nackenhaare sträubten sich, als ein Geräusch die Stille durchbrach und er den Kopf sofort nach links drehte.
Keine Gefahr. Nur eine Ratte war in seiner Nähe vorbeigehuscht. Das war hier nichts Außergewöhnliches.
Er suchte sich den nächsten Weg, den er aber nicht gehen wollte. Aus der Erinnerung wusste er, dass es nahe des Fabrikgebäudes keine großen Möglichkeiten gab, um Deckung zu finden. Er musste sich dem Bau von einer anderen Seite her nähern.
Er ging langsam. Gespannt, konzentriert. Justine Cavallo zählte zwar zu den Einzelgängerinnen, aber wenn es hart auf hart kam, dann verließ sie sich auf Helfer. Suko musste immer damit rechnen, dass sie urplötzlich vor ihm auftauchten.
Fremde Fahrzeuge standen nicht auf dem Gelände. Es hatte sich auch nichts verändert. Nur dass die Schatten überwogen, und das kam auch Suko zugute.
Er näherte sich der großen Halle von der linken Seite. Noch war ihm der Blick darauf verwehrt, denn in der Umgebung standen die Ruinen der anderen Bauten.
Jede war eine Kulisse für sich. Eingestürzt. Zerhauen durch die Kugel der Abrissmaschine. Nichts war mehr so wie sonst. Der Zerfall hatte alles gezeichnet. Wann hier wieder abgerissen und neu gebaut wurde, das wusste niemand.
Die alten Mauern rochen. Sie strömten das aus, was sie mal inhaliert hatten. Er glaubte, das Öl und das Fett zu riechen, dessen Geruch früher mal die alten Hallen so gezeichnet hatte. Auch das Metall der Maschinen, die längst nicht mehr standen, glaubte er auf seiner Zunge zu schmecken.
Es gab keine Hinweise auf eine Gefahr. Trotzdem glaubte Suko nicht an die Normalität. Er spürte mit jeder Faser seines Körpers, dass etwas nicht stimmte. Die Gefahr war da, sie hielt sich nur versteckt.
Suko umrundete einen Trümmerhügel und blieb dort stehen, wo noch weniger Licht hinreichte. Der Boden unter seinen Füßen war eine schwarze Fläche, in der die Füße fast versanken.
Suko ging nicht weiter, weil ihn irgendetwas störte. Den Grund konnte er selbst nicht sagen, aber es war vorhanden, und er merkte, dass dieses Gefühl auf seinem Rücken Kälte hinterließ. Er wurde beobachtet, dessen war er sich sicher. So sehr er auch den Kopf drehte, es war jedoch nichts zu sehen.
Die andere Seite stellte es mal wieder schlau an. Und er glaubte auch nicht, dass jemand ihn von der leeren Fabrikhalle her unter Kontrolle hielt und an irgendeinem Fenster klebte.
Sie waren hier draußen…
Suko blieb weiterhin an seinem Platz stehen. Er konzentrierte sich noch stärker auf die ihn umgebenden Geräusche. Beim Gehen waren sie ihm nicht aufgefallen, weil er
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