1264 - Justines Geisel
Feuerstelle zu. Der Topf oder Kessel wurde von unten erwärmt. Er besaß auch einen Inhalt, aber ich erkannte nicht, was darin kochte oder nur warm gehalten wurde. Es war auf jeden Fall etwas, von dem ein leichter Dunstfilm in die Höhe stieg, aber es handelte sich nicht um Wasser.
»Komm ruhig näher, John. Los, schau dir alles genau an. Dann reden wir weiter.«
»Worüber?«
»Du wirst es erleben.«
Ich zögerte nicht mehr, denn ich befand mich in einer schlechteren Position. Bevor ich mich allerdings in Bewegung setzte, schaute ich so gut wie möglich in die mir bekannte Halle hinein, weil ich nach anderen Gefahrenquellen Ausschau halten wollte, aber es waren keine zu sehen. Justine Cavallo war wohl allein gekommen, sie konnte sich voll und ganz auf ihre Macht verlassen.
Auch Glenda schaute mich an. Es war noch genügend Helligkeit vorhanden, um auch aus einer gewissen Entfernung ihr Gesicht erkennen zu können. Der Ausdruck stimmte mich traurig und wütend zugleich. Ihre Haltung war einfach menschenunwürdig. Sie musste unter Schmerzen leiden, aber sie hielt sich tapfer. Kein Laut drang aus ihrem Mund. Glenda schaute mich an, und sie versuchte sogar, mir ein Lächeln zu schicken, um mich aufzumuntern.
Sehr tapfer, denn sie kannte mich. Sie wusste, was in mir vorging, und wieder dachte ich an den üblichen Rahmen. Man holt sich eine Geisel, um etwas durchzusetzen.
Nein, das stimmte nicht. Nicht bei Justine Cavallo. Da steckte mehr dahinter. Ich sprach Glenda auch nicht an, um ihr zu erklären, dass alles schon okay werden würde, aber das konnte ich einfach nicht. Es wäre eine Lüge gewesen, die ich einfach nicht über die Lippen bringen konnte.
Ich dachte auch nicht daran, meine Waffe zu ziehen und sie wegzulegen. Erst wenn ich den Befehl dazu bekam, würde ich es tun. Aber auch das kam mir in dieser Lage zu einfach vor. Nicht bei dieser blonden Bestie. Zuletzt war sie mit dem Kopf des Engels Jamiel verschwunden, den allerdings hatte sie nicht mitgebracht. Es hätte ja sein können, dass sich um ihn herum ein weiterer Plan entwickelte.
Bis auf eine bestimmte Distanz ließ mich Justine an Glenda und sich herankommen. Erst dann musste ich anhalten. Wir waren uns jetzt recht nahe, und ich ließ meinen Blick nicht von ihrem Gesicht, dessen blasse Haut ständig von einem Muster aus Licht und Schatten überzogen wurde, so dass es aussah, als würde es leben. Den Mund hielt sie geschlossen, deshalb sah ich ihre spitzen Vampirzähne nicht. Trotzdem lächelte sie.
»So sieht man sich wieder, Geisterjäger. Da ist schon ein kleiner Traum in Erfüllung gegangen.«
»Bei mir nicht.«
»Ha, das kann ich mir denken.« Sie drehte den Kopf zu Glenda hin. »Wie gefällt dir die Kleine?«
Der Spott in der Stimme war nicht zu überhören. Was ich am liebsten mit ihr getan hätte, darüber durfte ich gar nicht erst nachdenken, aber auch ich war oft genug gezwungen zu schauspielern und musste meine Gefühle unterdrücken, obwohl mir das schwer fiel, denn jetzt, aus der Nähe, sah ich noch deutlicher, wie Glenda Perkins in dieser verdammten Lage litt.
»Komm zur Sache, Justine!«
»Ach, so realistisch?«
»Ja. Was willst du?«
»Ich habe euch beide«, erklärte sie grinsend.
»Sicher, aber damit ist es noch nicht getan. Was willst du wirklich? Noch einen Engelskopf? Dann muss ich dir leider sagen, dass ich keinen mehr besitze. Ich weiß auch nicht, wo sich die anderen Engel noch aufhalten. Jedenfalls existieren die Sauger nicht mehr.«
»Das weiß ich. Die Rechnungen werden immer größer, die ich mit dir zu begleichen habe, John. Aber davon abgesehen, ich bin später diejenige, die kassiert.«
»Das gebe ich zu. Ich bin gekommen, du hast mich, und jetzt kannst du Glenda Perkins wieder freilassen. Sie hat damit nichts zu tun.«
»Moment mal, das glaubst du. Ich sehe das anders. Natürlich ist sie ein wichtiger Trumpf in meinem Spiel. Nein, nein, ich werde sie nicht laufen lassen.«
Das hatte ich mir beinahe gedacht. Ich gab allerdings keinen Kommentar ab und schluckte meinen Zorn hinunter. Und wenn sie von einem Spiel sprach, dann musste ich ihr leider auch Recht geben.
Für sie war das Leben nur ein Spiel, in dem sie die Regeln aufstellte. Sie wollte ihren Machtbereich immer mehr ausweiten.
»Was hast du dann vor? Willst du uns in deine Vampirwelt verschleppen? Das hast du schon einmal versucht. Ich bin trotzdem entwischt.«
»Auch da liegst du falsch, Sinclair. Es gibt ganz andere Dinge, die ich mit dir
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