1264 - Justines Geisel
nicht. Ich ging so normal und auch so, wie es das Gelände zuließ. Es war alles andere als eben. Überall verteilt lagen die Reste der zusammengebrochenen Gebäude. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie wegzuräumen. Wo es mehr Platz gab, waren noch die Abdrücke der Reifen zu sehen, die von den gewaltigen Rädern der Lastwagen hinterlassen worden waren.
Die Halle war nicht zu übersehen. Nicht allein auf Grund ihrer Größe und weil das alte Tor nicht geschlossen war, nein, ich war bereits in der Lage, auf diese recht große Entfernung hin einen Blick hineinzuwerfen, und da gab es einen bestimmten Punkt, der mich irgendwie magisch anzog.
Es war ein Licht!
Kein normales. Denn das Licht in der Halle bewegte sich und flackerte. Da tanzten Flammen von einer Seite zur anderen, und mir wurde klar, dass dort jemand ein Feuer angezündet hatte. Ich war mir sicher, dass ich dies Justine Cavallo zu verdanken hatte.
Feuer und Vampire!
Das passte nicht zusammen. Das war so, als hätte ich mehrere Kreuze vor die Brust eines Blutsaugers gehängt. Wenn die Wiedergänger sich vor etwas fürchteten, dann war es Feuer, denn das verbrannte sie zu Staub.
Warum loderten dort die Flammen?
Die Antwort erhielt ich nicht jetzt. Ich würde sie bekommen, wenn ich die Halle betreten hatte.
Ich bin ein Mensch wie jeder andere auch, und je weiter ich mich der Halle näherte, um so stärker klopfte mein Herz. Dabei ging es nicht so sehr um mich, sondern um Glenda Perkins und Justine Cavallo.
Das war kein normaler Geiselaustausch, hier wurde Zukunft gemacht, und ich musste verdammt auf der Hut sein, was ich natürlich auch war, denn immer wieder hatte ich mir die Umgebung so gut wie möglich angeschaut, ohne allerdings einen von Justines Helfern zu entdecken, sei es nun ein »normaler« Vampir oder ein Sauger.
Es blieb gespenstisch ruhig auf diesem großen Trümmerfeld, das leicht zu einem Platz des Todes werden konnte.
Ja, sie waren da. Es hatte sich in der Halle etwas verändert. Das sah ich, bevor ich sie überhaupt betreten hatte, denn etwas hing von der Decke herab.
Glenda hatte mir erzählt, in welch einer Lage sie sich befand, und das sah ich jetzt mit den eigenen Augen. Nicht weit von ihr brannte das Feuer. Es loderte nicht einfach nur in die Höhe, um Wärme abzugeben, sondern war angezündet worden, um etwas zu erhitzen oder zu kochen, denn ich sah, als ich auf der Schwelle zum Eingang stehen blieb, dass über den Flammen ein Topf auf einem dreibeinigen Untergestell stand.
Aber ich sah leider noch mehr.
Nicht nur Glendas gestreckten Körper, dessen Haltung so verdammt unnatürlich war, es gab auch noch eine zweite Person in der Halle. Eine Frau, deren unnatürlich helles Haar sofort auffiel. Sie stand neben Glenda. Da die Dunkelheit noch nicht von der Halle Besitz ergriffen hatte und der Widerschein des Feuers zusätzlich für Helligkeit sorgte, war mir sofort klar, dass ich hier den Kürzeren ziehen würde.
Justine Cavallo stand dicht neben Glenda an ihrer linken Seite und hatte die Mündung eines Revolvers gegen ihr Kinn gedrückt.
Ich blieb stehen, als mich die Stimme der blonden Bestie erreichte. »Komm ruhig näher, John. Ich beiße nicht.« Sie lachte schrill auf. »Noch nicht…«
***
Es gibt immer wieder Augenblicke, da ist man sprachlos. So erging es mir in dieser Situation, denn ich konnte für Glenda einfach nichts tun. Ich wünschte mir, dass dieses Bild nicht den Tatsachen entsprach, aber das blieb ein Traum. Es stimmte alles, und ich spürte den bitteren Geschmack von Galle im Mund.
Zu viele Gedanken rasten durch meinen Kopf, und ich spürte eine kalte Wut in meinem Inneren.
Glendas Lage war wirklich verzweifelt. Die Mündung des Revolvers hielt Kontakt mit ihrem Kopf, während sich die blonde Bestie dabei leicht gedreht hatte, um mich anschauen zu können.
Das war es also! Sie hatte Glenda, ich war gekommen. Justine hatte mich hilflos gemacht, und nun konnte ich mich in ihre Gewalt begeben, als Austausch gegen Glenda.
Genau das würde so nicht stimmen. Ich kannte die Blutsaugerin leider gut genug. Das passt nicht zu ihr. Sie hatte es sich noch nie leiht gemacht, dieser Austausch entsprach nicht ihren anderen Plänen und Aussichten für die Zukunft. Bei ihr musste man immer mit einer raffinierten Falle rechnen.
Das hier war einfach zu simpel, und deshalb versuchte ich schon jetzt herauszufinden, um was es wirklich ging. Meine Blicke wanderten von den beiden Frauen weg auf die ungewöhnliche
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