1265 - Die heilende Gottin
Vironauten-Frequenz melden und hoffte, von einem anderen Vironauten Antwort zu bekommen.
In den letzten Tagen hatte sie sich intensiv mit Kido befaßt. Sie war zunächst mit ihm auf Maghala geblieben, weil sie dort noch einige Probleme lösen und vor allem den Erkrankten helfen wollte.
Noch einmal hatte sie Kontakt mit Ghrou gehabt und sie dabei ermuntert, sich mehr zu behaupten.
Dann hatte sie sich ganz Kido gewidmet, der wie ein Kind war und buchstäblich alles lernen mußte.
Dabei hatte sich Kido als Sprachengenie erwiesen, das Interkosmo geradezu im Vorbeigehen gelernt hatte. Sein Interesse an allen möglichen Dingen war ungewöhnlich groß, und sie hatte sich tagelang mit ihm über alle nur erdenklichen Themen unterhalten. Sie hatte unter anderem auch mehrere Ausflüge mit ihm unternommen, um ihm ein wenig von Maghala zu zeigen.
Kido hatte danach gewaltige Fortschritte gemacht. Zuweilen hatte er verblüffende und irritierende Ansichten, weil er die Zusammenhänge nicht ganz verstand, war aber immer einsichtig, wenn sie ihm Details erläuterte und auf diese Weise ein Wissensgebäude für ihn aufbaute. Was ihm fehlte, war vor allem die Erfahrung. Sie konnte ihm lediglich theoretisches Wissen vermitteln und ein wenig mit ihm in der freien Natur des Planeten Maghala herumgehen, doch das genügte gerade, um ein paar Informationen zu sammeln, nicht aber, um eine Persönlichkeit herauszubilden. „Ich verlasse mich darauf, daß du keinen Unsinn mit ihm anstellst", sagte sie zu dem Virenschiff. „Wie käme ich dazu", antwortete es.
Eine Tür glitt zur Seite, und Irmina blickte in einen der beiden Räume, den das Schiff gegen ihren Willen eingerichtet hatte. Kido kauerte auf dem Boden und spielte mit einem grünen Nahrungsbrei, der aus einer Öffnung in der Wand quoll. Der Brei bedeckte den Boden zentimeterbreit - und nicht nur ihn. Kido hatte sich von unten bis oben damit eingerieben. Laut schmatzend leckte er sich die Hände und die Unterarme ab. „Hast du den Verstand verloren?" fauchte Irmina. „Was soll dieser Unsinn?"
„Ich fühle mich wohl", beteuerte Kido. „Der Kakao schmeckt gut."
„Kakao? Das ist kein Kakao!" Die Mutantin hielt sich die Nase zu. „Dieses penetrant stinkende Zeug ist irgend etwas, was das Schiff erfunden hat, aber es ist ganz sicher kein Kakao."
„Wir nennen es so", erklärte der Raumer. „Und es gefällt Kido."
„Das ist Wahnsinn", empörte sie sich. „Er soll sich duschen und abwaschen. Unterlaß gefälligst solche Spiele. Wozu habe ich mich tagelang mit ihm unterhalten? Doch nicht, damit er in einem stinkenden Brei badet, den du Kakao nennst."
„Auf dem Weg zum Erwachsenen muß er auch seine kindlichen Erfahrungen machen", erklärte das Virenschiff ungerührt.
Irmina Kotschistowa drehte sich um und eilte in das Labor. Sie bebte vor Zorn, obwohl sie sich im Grunde genommen darüber klar war, daß sie Kido nicht innerhalb von wenigen Tagen vom Neugeborenen zum Erwachsenen formen konnte. Es genügte nicht, ihn mit Wissen vollzustopfen. Sie mußte darüber hinaus auch einen Weg finden, auf dem sie Persönlichkeit herausbilden konnte.
Er war wie ein leeres Blatt Papier, das erst beschriftet werden mußte. Es gab ja so unendlich viel zu lernen für ihn, und vielleicht wäre es richtig gewesen, ihn erst einmal mit allen möglichen harmlosen Dingen spielen zu lassen. Aber dazu blieb ihr keine Zeit. Früher oder später würde sie Kontakt mit anderen Vironauten haben, und dann mußte sie Kido so weit gebracht haben, daß er nicht nur ihre Gesellschaft ertrug, sondern sich auch ohne Aufsicht unter ihnen bewegen konnte. Das war vorläufig noch nicht der Fall.
Das „Kakao-Bad" hatte es ihr bewiesen.
Vielleicht wäre es richtiger gewesen, ihn für einige Zeit mit einigen Maghalaern zusammenzulassen, dachte sie. Dabei hatte er gelernt, sich in der Gesellschaft anderer zu bewegen.
Aber dann verwarf sie diesen Gedanken wieder. Die Maghalaer hatten so viel mit ihren eigenen Problemen zu tun, daß Kido sich dort nicht vernünftig hätte bewegen können. „Bist du mir böse, Mutter?" fragte eine klare Stimme.
Irmina Kotschistowa fuhr herum. Sie blickte Kido an, der in der Tür stand und dessen graue Haut vor Sauberkeit glänzte. Er mußte sich blitzschnell gewaschen haben. „Ich bin nicht deine Mutter", erwiderte sie. „Und ich bin dir nicht böse."
„Aber du hast geschimpft. Außerdem verstehe ich nicht, warum du nicht meine Mutter sein willst. Du hast mich doch geboren.
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