1267 - Das chinesische Grauen
Brille zurecht, um besser zu sehen. Ob das eintraf, war fraglich, und sie nickte Suko schließlich zu. »Wenn Sie mich so fragen, dann habe ich sie gesehen. Ja, sie ist hier gewesen und hat eingekauft.«
»Wann ungefähr war das?«
»Das kann ich nicht sagen…«
»Ist sie schon lange weg?«
»Nein, ja und…«
Ich hörte nicht hin, wie Suko die Frau immer mehr durch seine Fragen in die Enge trieb, denn mir war etwas aufgefallen, was nicht hier auf den sehr sauber geputzten Fußboden passte. Es war ein dunkler Fleck, und es war der einzige Fleck, den es hier gab. Ich ging näher und schaute ihn mir aus meiner gebückten Haltung genauer an. Diese bräunlich rote Farbe war mir nicht unbekannt, aber ich wollte auf Nummer Sicher gehen, bevor ich etwas sagte und tippte die Oberfläche kurz mit meiner rechten Zeigefingerspitze an.
Als ich die Hand zurückzog, klebte die Flüssigkeit an der Haut fest. Als ich die Farbe sah, lief mein Kreislauf schneller. Auf eine chemische Analyse konnte ich verzichten, da reichten meine Erfahrungswerte völlig aus.
Es war Blut!
Im Stillen leistete ich Suko Abbitte. Sein Misstrauen hatte sich schon gelohnt, obwohl ich nicht davon ausgehen konnte, dass es sich um Shaos Blut handelte. Das hätte man erst durch eine Untersuchung und einen anschließenden Vergleich feststellen können.
Ich sagte Suko nichts, aber ich trat dicht an die Theke heran und sah, wie die Frau mir ihren Kopf zudrehte. Auch Suko schaute mich an. Beide sahen, wie ich meinen Finger nach vorn streckte, und sie blickten auf die Kuppe.
»Sie halten doch Ihren Laden sehr sauber, Madam«, sagte ich und lächelte dabei.
Die Frau wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie hob die Schultern an, sagte nichts, und so übernahm ich wieder das Wort.
»Und deshalb wundert es mich, dass Sie den Blutfleck auf dem Boden nicht weggewischt haben…«
Sie erschrak. Auf dem runden Gesicht erschienen in Sekundenschnelle Schweißperlen. Mit meiner Bemerkung hatte ich ins Schwarze getroffen, und ich spürte, wie sie immer nervöser wurde, sich umschaute, ein paar Mal schluckte und dann fragte: »Blut?«
»Ja, das ist Blut!«
Suko, der mich ebenfalls angeschaut hatte, drehte seinen Kopf und starrte der Inhaberin ins Gesicht.
»Ich denke, dazu haben Sie uns etwas zu sagen, Mrs. Tam.«
So hieß sie also, und sie steckte jetzt in der Klemme. Sie wusste, was hier passiert war, aber sie wusste auch, dass es für sie gefährlich werden konnte, wenn sie den Mund aufmachte. Ihre Bewegungen der Arme wirkten hilflos. Dabei sprach sie auch und meinte, dass sie keine Ahnung hatte, wie das Blut auf den Boden gekommen war.
»Das glauben wir Ihnen nicht!«, sagte Suko.
»Jemand war mit einem Hund hier. Und er hat…«
»Es ist Menschenblut!«, behauptete ich. Den Beweis hatte ich zwar nicht, aber Mrs. Tam widersprach mir auch nicht.
»Wer hat hier geblutet?« flüsterte Suko.
»Ich weiß es nicht.«
Sie log aus Angst. Das sahen wir beide ihr an. Aber Suko ließ nicht locker und stellte die nächste Frage. »Ist es Shao gewesen? Hat sie geblutet? Sagen Sie es.«
»Nein!« rief sie.
Es war die erste spontane Antwort, die aus ihrem Mund gedrungen war, und die nahmen wir ihr auch ab.
»Woher wissen Sie das genau?«
»Sie hat nicht geblutet.«
Suko fragte weiter. »Aber sie ist hier gewesen - oder?«
»Ja!«
»Und wo ist sie jetzt?«
»Gegangen!«
»Tatsächlich?«
»Ja!«
»Was hat sie gekauft?«
»Das weiß ich nicht.«
»Hören Sie auf. Sie wollen sich nicht daran erinnern. Shao ist eine Stammkundin. Sie müssen doch wissen, was sie eingekauft hat. So etwas merkt man sich automatisch, wenn man so lange im Beruf ist wie Sie, Mrs. Tam. Das können Sie mir nicht erzählen.«
Mrs. Tam rang nach Atem. Durch die Fragen war sie immer mehr in die Klemme geraten. Sie suchte nach einer Antwort, wich dabei Sukos bohrendem Blick aus und fand schließlich einige Worte, die sie allerdings nur stockend aussprach.
»Reis, glaube ich. Ja, sie hat Reis gekauft. In zwei großen Tüten. Dann nahm sie noch einige Litschis mit. Auch ein paar Gewürze und den dünnen Teig für die Frühlingsrollen.«
»Danke«, sagte Suko.
Mrs. Tam sah erleichtert aus. »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Shao ist dann gegangen.«
»Und Sie wissen auch nicht, von wem das Blut stammt«, sagte Suko. Er deutete dabei auf den Fleck.
»Genau, das weiß ich nicht.«
»Und das ist ebenso gelogen wie die einzelnen Teile des Einkaufs«, erklärte Suko mit scharfer
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