1267 - Das chinesische Grauen
ungewöhnlich auf, denn nicht nur einmal schauten Gesichter durch die Scheibe und wurde an der Tür gerüttelt. Im Schaufenster standen Waren. Von meiner Position aus war schlecht zu erkennen, wie gut der Einblick nach innen war. Ich hoffte nur, dass man von außen nicht zu viel sah. Es würde sich sonst in Windeseile herumsprechen, was hier geschehen war. Dann konnte sich die andere Seite, wer immer sie auch präsentierte, darauf einstellen.
Suko hatte dem Mann geholfen, und er stützte ihn jetzt so ab, dass er in eine sitzende Haltung geriet.
Sein Gesicht war noch verquollen, die Lippen bluteten wieder, und er schaute sich mit verschwommenem Blick um. Das war keine Schauspielerei. Dieser Typ hatte wirklich was auf seinen Kopf bekommen.
Ich schüttelte den Kopf, woraufhin mich Suko fragend anschaute. »Was meinst du denn?«
»Der kann und wird nichts sagen. Und wir haben nicht die Zeit, zu warten, bis ihm etwas einfällt.«
»Dann schlag was vor!«
»Die Kollegen sollen ihn holen und erst mal hinter Gitter setzen. Wir werden uns später um ihn kümmern, aber vorerst, denke ich, bleibt es bei unseren Plänen.«
»Also das Dreifache Paradies.«
»Ja.«
Suko nickte. Er war einverstanden. Während ich telefonierte, sprach er den Mann an. Der gab keine Antwort. Nur ein undefinierbares Geräusch verließ seine Kehle.
Ich hatte meinen Anruf innerhalb kürzester Zeit erledigt und wusste auch, dass wir nicht mehr lange warten mussten, bis die Kollegen mit dem Streifenwagen eintrafen.
Hinter der Theke richtete sich die Besitzerin des Geschäfts wieder auf. »Es ist furchtbar«, flüsterte sie, »es wird sich alles ändern für mich. Sie werden mich als Verräterin abstempeln, weil ich geredet habe. Aber ich konnte nicht mehr schweigen. Alle schweigen, alle haben Angst vor ihm. Er muss das Grauen sein. Keiner kennt ihn oder will ihn kennen, aber er lauert, und seine Diener holen sich die Menschen.«
»Junge Frauen, nicht wahr?«
»Ich denke schon.«
Hinter mir hörte ich ein Klicken. Suko hatte dem Typ Handschellen angelegt, denn er wollte auf Nummer Sicher gehen.
Ich griff noch mal zum Handy und erreichte Tanner in seinem Büro. »Gerade wollte ich gehen.«
»Dann kannst du noch zwei Minuten bleiben.«
»Okay, was gibt es?«
Ich gab ihm einen Kurzbericht und wies ihn auch auf die Hintergründe hin. »Es sieht ganz danach aus, dass es ein Fall für uns ist, Tanner. Du hattest mal wieder den richtigen Riecher.«
»Danke, den habe ich doch immer.«
»Wunderbar. Dann machen wir weiter.«
»Und was ist mit Shao?«
»Da können wir nur hoffen.«
Ich hörte ihn scharf atmen. Auch er kannte Shao, und ich wusste, wie betroffen er war. »Wenn du etwas brauchst, John, egal welche Hilfe, ich bin immer für dich da. Ich sehe noch die Frauen vor mir, und ich könnte an die Decke gehen, aber das würde auch nichts bringen.«
»Stimmt.« Vor dem Geschäft hielt der Streifenwagen. »Noch eines, Tanner, wenn du mit dem Gefangenen sprechen willst, ich lasse ihn zu uns bringen. In einer Zelle ist er sicher aufgehoben.«
»Mal sehen, wie ich mich entscheide.«
Ich schloss die Tür auf und ließ die Kollegen eintreten. Sie waren zu zweit, und ich sah ihren fragenden Blicken an, dass sie noch nicht wussten, was lief.
Suko löste dem Mann die Handschellen. Dafür bekam er von den Kollegen ein anderes Paar umgelegt.
»Wir haben ihn noch nicht identifiziert«, erklärte ich. »Sorgen Sie dafür, dass er eine ärztliche Behandlung erhält und dass er später einem Verhörexperten zugeführt wird.«
»Natürlich, Sir.«
Der Mann wurde gepackt. Bevor die Kollegen mit ihm den Laden verließen, drehte er noch einmal unter großen Mühen den Kopf. Über seine zerschlagenen Lippen drangen zischelnde Worte, die selbst Suko nicht verstand.
»Ein lieber Gruß kann es nicht gewesen sein, John.«
»Bestimmt nicht.«
Vor dem Geschäft hatten sich Neugierige versammelt. Egal, wo man ist, ein haltender Streifenwagen erregt immer Aufsehen, und um das Fahrzeug herum drängten sich Erwachsene und Kinder. Sie alle hatten etwas zu gaffen, was mir gar nicht gefiel, denn in diesem Wust von Menschen konnte leicht etwas passieren, das wir nicht so schnell mitbekamen.
Die Kollegen mussten sich praktisch einen Weg bis zu ihrem Wagen bahnen. Einer zerrte die Tür auf. Der andere hielt den Gefesselten fest, damit er nicht zusammenbrach.
Mir kam es vor, als wären die Gaffer noch dichter zusammengerückt. Das gefiel mir gar nicht. Ich hörte
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