1267 - Das chinesische Grauen
blieb er dann doch stehen. Neben einem Mann, der eine Karre mit Reissäcken belud.
»Sind wir schon da?«
»Nein, das nicht.« Er deutete nach links in die kleine Straße hinein, wo Geschäft neben Geschäft lag und die für unsere Augen sehr fremden Reklameschilder auffielen.
»Was gibt es dort?«
Er hob die Schultern. »Dort liegt auch das Geschäft, in dem Shao gern einkauft.«
»Was bedeutet das?«
Suko räusperte sich. »Ich kann es dir schlecht erklären, John, aber ich mache mir Sorgen um sie. Ich weiß ja, dass sie Lebensmittel besorgen wollte, und es ist wirklich kein großer Zeitverlust, wenn wir hingehen und nachfragen.«
Ich wollte lächeln und hatte schon eine entsprechende Bemerkung auf der Zunge liegen, doch als ich in Sukos Gesicht schaute, war mir klar, dass es ihm ernst war und er sich über Shaos Verschwinden große Sorgen machte.
»Okay, dann fragen wir mal. Kennst du die Inhaberin denn?«
»Ja und nein. Ich habe sie ein paar Mal gesehen. Ich kenne nicht mal ihren Namen. Ich weiß nur, dass sie eine Brille mit sehr dicken Gläsern trägt. Aber Shao kauft dort oft ein. Die beiden müssen sich einfach kennen.«
»Gut, dann wollen wir.«
Ich fragte nicht mehr nach. In diesem Fall verließ sich Suko auf sein Bauchgefühl, und genau das konnte ich ihm auch nachfühlen. Ich kannte ähnliche Gelegenheiten, bei denen ich mich auf mein Gefühl verließ und damit oft auch ins Schwarze traf.
Wir brauchten nicht weit zu gehen, um den Laden zu erreichen. Er lag in einem schmalen Gebäude, und er war das einzige Geschäft in diesem Haus. Darüber verteilten sich die Wohnungen, in denen jede Menge Menschen lebten. Legal eingewanderte und auch Illegale.
Es war warm geworden. Ein wunderbares Maiwetter, auch wenn oft Wolken am Himmel hingen.
Aber die Menschen konnten die Fenster offen lassen, und so hörten wir aus den Wohnungen über dem Geschäft zahlreiche Stimmen nach unten klingen.
Die Tür des Ladens war nicht geschlossen. Man hatte sie mit einem Keil festgestellt, und jeder konnte das Geschäft betreten. Zwei Kunden hatten es getan. Sie standen an der Theke und wurden tatsächlich von einer Frau bedient, deren Brille sehr dicke Gläser aufwies. Obwohl sie mit den Kunden sprach, als sie bedient wurden, bekam sie mit, dass wir eintraten, und für einen winzigen Moment erstarrte ihr Blick. Mir fiel auch ihr leichtes Zusammenzucken auf.
Suko sagte ich davon nichts, denn ich wollte ihn nicht noch stärker beunruhigen.
Die beiden Kundinnen wurden bedient, packten ihre Waren in Körbe und zogen sich schnatternd zurück, wobei sie noch zu kichern begannen, als sie Suko sahen.
Ich hielt mich im Hintergrund auf, wo einige Holzfässer standen, die noch verschlossen waren.
Suko ging zur Ladentheke. Er nickte der Frau zu und stellte seine erste Frage. »Sie kennen mich, nehme ich an.«
Es entstand eine verlegene Pause. »Äh, ich weiß nicht so recht. Müsste ich Sie denn kennen?«
»Ich habe hier schon eingekauft. Allerdings nicht allein. Meine Partnerin war stets dabei.«
»Ja, dann…«
»Sie heißt Shao.«
»Oh.« Suko erntete ein Lächeln und danach eine Antwort, die ihm nicht gefallen konnte. »Ein sehr schöner Name. Ich habe…«
»Bitte, ich möchte mit Ihnen nicht über den Namen diskutieren, ich möchte nur wissen, ob sie heute schon bei Ihnen hier im Geschäft gewesen ist, um einzukaufen.«
Suko hatte seine Frage präzise formuliert und hätte auch eine präzise Antwort bekommen müssen.
Aber die Inhaberin zögerte, und das machte mich misstrauisch.
Es gab weder eine Ablehnung noch eine Zustimmung, sondern ein Schulterzucken. »Ich hatte etwas viel Betrieb. Da habe ich nicht auf meine Kunden achten können. Deshalb kann ich Ihnen auch keine genaue Antwort geben.«
»Das hätte ich gern genauer.«
»Sie kann hier gewesen sein. Es ist möglich, aber ich kann es nicht beschwören.«
Das war für Suko zu wenig. Wäre es auch für mich gewesen, und an den vielen Betrieb konnte ich auch nicht glauben, denn nach uns hatte kein Kunde mehr den Laden betreten.
Es war auch klar, dass Sukos Fragen die Inhaberin unangenehm berührt hatten, und auch in mir keimte allmählich das Misstrauen hoch. Man soll ja nichts beschwören, aber wir hatten bereits Kapriolen des Schicksals erlebt, das war kaum zu glauben, und auch hier war anscheinend nicht alles so normal wie es aussah.
»Ich will jetzt wissen, ob Shao heute hier bei Ihnen im Geschäft gewesen ist oder nicht.«
Die Frau rückte ihre
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