1268 - Shao, der Zombie und wir
ihr das kleine Feuerzeug. »Mach bitte Licht.«
Li stellte jetzt keine Fragen mehr, sondern ließ die Flamme erscheinen, die sich wieder leicht bewegte, ihr Spiel aus Hell und Dunkel schuf, das über die Tür hinweghuschte wie unruhige Bilder aus einer Geisterwelt.
Shao kümmerte sich um den schweren Riegel. Wenn er weg war, brauchte sie nur nach den beiden eisernen Griffen zu fassen, und konnte so die beiden Türhälften aufziehen.
Es gibt Riegel, die klemmen. Dieser hier tat es nicht. Trotz seiner Schwere ließ er sich ziemlich leicht bewegen. Shao lauschte dem Schaben, als der Riegel durch die Führung glitt. Wenig später kippte er hinab, wurde aber von Shao aufgefangen, sodass es kein Geräusch gab, als er den Boden berührte.
Shao legte ihn flach hin. Im wenigen Licht sah sie selbst aus wie eine finstere Gestalt, und hinter der Flamme war das angespannte Gesicht der Chinesin Li zu sehen.
Shao wollte sie aufheitern und flüsterte: »Ist doch toll gewesen, nicht wahr?«
»Klar. Ich… ich… muss dich bewundern.«
»Hör auf. Es ist alles nur Routine.«
»Das glaube ich dir nicht.«
Shao lächelte kurz. »Nun ja, nicht so ganz.«
Li konnte es noch immer nicht glauben und flüsterte: »Willst du die Tür wirklich öffnen?«
»Klar.«
»Und das Stöhnen?«
»Hörst du was?«
»Hör auf, Shao, das ist…«
»Lass mal.« Shao hatte sich gebückt und schaute jetzt auf ihre Schuhspitzen, wie Li meinte. Das traf nicht zu, denn die Schuhe interessierten sie nicht. Etwas anderes war viel wichtiger. Erst jetzt entdeckte Shao den schmalen Schein, der sich unter dem unteren Rand der Tür hervorschob. Es war ein sehr blasses Licht, und man musste wirklich schon sehr genau hinschauen, um ihn überhaupt wahrzunehmen.
»Wir brauchen das Feuerzeug nicht mehr.«
Es wurde wieder dunkel. Shao hatte schon die Hand um den rechten Türgriff gelegt.
Li trat einen Schritt zurück, um Shao den nötigen Platz zu schaffen. Sie hörte noch die leise Stimme, mit der sich Shao selbst Mut machte. »Achtung, es geht los.«
Li sagte nichts. Sie stand da wie angemeißelt. Sie spürte das Brennen in den Augen, und ihr Mund war trocken geworden.
Die rechte Türhälfte öffnete sich mit einem knarrenden und auch leicht knirschenden Laut. Sie sahen noch nichts, aber sie merkten doch, dass vor ihnen etwas lag, das sie noch nicht begreifen konnten. Der Lichtschein auf dem Boden vermehrte sich, auch wenn er noch immer sehr blass blieb.
Noch stand die Türhälfte nicht so weit offen, dass sie einen gesamten Überblick bekamen, aber Sekunden später war es soweit.
Der freie Blick!
Ja, es war eine Höhle, die hier vor ihnen lag. Früher mal musste sie in die alte Kanalisation integriert worden sein, jetzt aber war sie zweckentfremdet worden.
Sie war groß, und das musste sie auch sein, denn sie enthielt etwas, das beiden Frauen den Atem raubte.
»Um Himmels willen«, flüsterte Shao nur…
***
Ich hatte wirklich im allerletzten Moment reagiert, und ich war schneller gewesen als der Gegenstand, der das Blasrohr verlassen hatte. Ich hatte ihn nicht genau gesehen. Man konnte von einem winzigen Schatten ausgehen, der durch die Luft sauste. Ich prallte auf, hörte hinter mir Sabrinas leisen Schrei, aber ich konnte mich um sie nicht kümmern, denn der Kerl mit dem Blasrohr war wichtiger.
Der erste Angriff war verpufft. Ich ging davon aus, dass er es dabei nicht belassen wollte, und hatte Recht, denn er griff in die Tasche, um sein Blasrohr neu zu bestücken.
Er war bewaffnet, okay. Aber für mich war er in diesen Augenblicken unbewaffnet. Ich brachte es einfach nicht fertig, die Beretta auf ihn zu richten und zu schießen. Da gab es eben die berühmte Hemmschwelle, und so stieß ich mich ab, um die Zeit zu nutzen, die er brauchte, um das Blasrohr erneut schussbereit zu machen.
Aus der geduckten Haltung hervor jagte ich auf ihn zu. Er sah mich kommen, aber war zu sehr mit seiner Waffe beschäftigt, um sich anders zu verteidigen.
Auch hatte ich den Eindruck, dass meine Schnelligkeit ihn für einen Moment lähmte, und diesen Zustand nutzte ich aus. Als er die Hand mit dem Blasrohr anhob, um das Ende gegen die Lippen zu drücken, war ich bei ihm.
Ich schleuderte den linken Arm vor und hatte den Eindruck, dass er lang und länger wurde. Der Schlag traf das verdammte Blasrohr noch im richtigen Moment und schleuderte es von seinem Mund weg zur Seite. Es wirbelte durch die Luft und fiel irgendwo zu Boden.
Der heimtückische Killer
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