1269 - Julie
Belial.«
»Wer ist das?«
Ich war schon froh, dass sie mit mir sprach, und sie bekam auch eine Antwort.
»Man nennt ihn den Engel der Lügen.«
»Lügen…?«, hauchte sie. »Warum sollte er lügen?«
»Weil nichts von dem stimmt, was er sagt. Er lügt. Seine Welt ist ein einziges Lügengebilde. Das musst du begreifen, Julie, und das kann ich dir auch beweisen.«
»Er hat mich nicht belogen.«
»Doch, das hat er!«
»Nein!« Sie trat wütend mit dem rechten Fuß auf.
Julie Wilson war ein Mädchen, das keine Lehre annehmen wollte oder auch konnte. Ich hatte es eigentlich nicht vorgehabt, aber jetzt war Rücksicht fehl am Platze. Mit meinen Fragen ging ich sie direkt an.
»Du hast ihn gemalt, nicht wahr? Du hast ihn so gezeichnet wie du ihn gesehen hast?«
»Ja.«
»Erst schön, dann immer unheimlicher. Bis er schließlich zu einer richtig fiesen Figur wurde. Ist das alles so gewesen, Julie?«
Sie schwieg und senkte den Kopf. Dann spielte sie mit ihren Fingern.
Meine Bemerkungen hatten sie nervös gemacht und möglicherweise etwas in ihr aufgewühlt.
»Und dann will ich dir noch sagen, dass dein letztes Bild seinem wahren Aussehen entspricht. Er ist nicht der schöne Engel zum Liebhaben, nein, das auf keinen Fall. Er ist der Grausame, der Gefährliche, der Engel, der die Menschen keinesfalls liebt. Er belügt sie, Julie, und Lügen sind niemals gut, das wirst auch du wissen.«
Julie hatte zugehört. Ich war auf ihre Antwort gespannt. Sie gab mir keine.
Oder eine auf ihre Art und Weise. Mit einer scharfen Drehung fuhr sie herum und ließ sich wieder fallen. Sie drehte mir den Rücken zu und schaute wieder auf das Bachwasser. Es war für sie interessanter als Sina Franklin und ich.
Sie war verstockt. Ich wusste auch nicht, wie ich Julies Panzer aufbrechen sollte. Für mich war sie trotz allem eine Verbindung zu Belial. Er war wieder mal unterwegs und hatte etwas vor. Nur kannte ich leider seine Pläne nicht, ging allerdings davon aus, dass Julie Wilson dabei eine wichtige Rolle spielte.
Ich wollte sie nicht allein lassen. Die Zeit war noch nicht vorbei. Deshalb drehte ich mich zu Sina Franklin um, die mich anschaute und dabei die Schultern hob. Die Geste deutete all ihre Ratlosigkeit an. Ich konnte es ihr nachempfinden. Sie hatte voll auf mich gesetzt und musste einfach enttäuscht sein.
»Was sagen Sie, Sina?«
»Ich weiß es nicht. Ich kann dazu nichts sagen. Bitte, das müssen Sie mir nicht ankreiden, John. Ich habe nur Purdys Rat befolgt. Dass so etwas dabei herauskommen würde, konnte ich nicht ahnen.«
Mein Lächeln sollte sie beruhigen.
»Sie müssen das anders sehen, Sina. Ich bin froh, dass Sie mir Bescheid gegeben haben. Sehr froh sogar. Ich kenne den Engel der Lügen, und ich finde es alles andere als positiv, dass er wieder eingreift. Er ist jemand, der Menschen unterjocht. Der sie gegeneinander ausspielt, weil er Lügen verbreitet und so für ein Chaos sorgen kann. Er holt sich immer schwache Personen, wie eben Julie Wilson. Die kann er besser manipulieren als Erwachsene. Kinder sind neugierig. Erwachsene auch, aber anders. Was ihnen nicht so geheuer ist, lehnen sie ab. Kinder fragen nach, aber wem erzähle ich das? Sie wissen es besser.«
»Das mag stimmen«, gab sie zu. »Trotzdem stehe ich vor einem Rätsel, John. So etwas habe ich noch nie erlebt. Das stößt einfach an die Grenzen meiner Auffassungskraft. Ich will nicht sagen, dass die Welt für mich aus den Angeln gehoben wurde, aber so ähnlich fühle ich mich. Denn hier geht etwas vor, das ich nicht verstehe und wohl auch niemals begreifen kann, glaube ich.«
Ich wollte etwas sagen, aber Julie Wilson kam mir zuvor. »Manchmal habe ich ihn auch hier gesehen.«
Ich schluckte. Dann stieß ich die Luft aus. »Hier…?«
Julie nickte. Sie saß am Ufer und schaute auf das Bachwasser. »Ja, hier habe ich ihn gesehen.« Sie deutete auf den Bach. »Sein Gesicht schwamm im Wasser.«
»Welches Gesicht?«, fragte ich.
»Das schöne Gesicht. Der Engel. Er lächelte mir zu. Es wurde richtig hell. Ich habe ihn hier öfter gesehen…«
Ich musste ihr glauben, zeigte aber trotzdem eine gewisse Skepsis und drehte mich zu Sina Franklin hin um.
»Ich habe das nicht gesehen und es auch nicht gewusst, John«, sagte sie. »Das müssen Sie mir glauben.«
»Natürlich.«
Julie streckte die Hand aus. »Da, im Wasser, habe ich ihn gesehen. Er schwamm auf den Wellen und auch mit ihnen. Es war so wunderschön. Ich habe ihn geliebt.«
»Hat er
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