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1269 - Julie

1269 - Julie

Titel: 1269 - Julie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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sich auf einem schmalen Weg, der sich in Schlangenlinien durch das Gelände wand.
    Wo er endete, sahen wir nicht, denn da nahmen uns die kleinen Erhebungen die Sicht.
    Als ich Sina erreicht hatte, fragte sie: »Bei der Herfahrt, haben Sie da den kleinen Bach gesehen?«
    »Nein, habe ich nicht.«
    »Aber Sie sind über eine Brücke gefahren - oder?«
    »Das schon.«
    »Sehr gut. Dort gehen wir hin.«
    Sina ging schneller. Ich blieb an ihrer Seite und fragte: »Hat das einen besonderen Grund?«
    Sie nickte. »Ja, die Brücke und der Bach sind Orte, an denen sich die Kinder gern aufhalten, obwohl es verboten ist. Zumindest für die Jüngeren. In bestimmten regenreichen Zeiten führt er Hochwasser und wird zum reißenden Strom. Damit brauchen wir jetzt nicht zu rechnen, und die Kinder sitzen dann gern an der Brücke.«
    »Ich habe keine gesehen.«
    »Heute war es anders.«
    Mehr erklärte sie nicht, aber wir verließen den Weg und schritten durch das hohe und wunderbar duftende Gras dem schmalen Bachlauf entgegen.
    Eine herrliche Abendstille umfing uns, und die weißen Zungen oben am Himmel zogen sich immer mehr zurück. Im Westen ballte sich die Glut, die die untergehende Sonne zurückgelassen hatte.
    Trotz der nicht eben guten Sichtverhältnisse war der schmale Trampelpfad gut zu erkennen. Er hatte nur durch die Füße der zahlreichen Kinder entstehen können, wenn sie den Weg gegangen waren. Vielleicht hatte ihn auch Julie Wilson genommen.
    Ich spitzte meine Ohren, weil ich nach dem Plätschern des Wassers lauschte, doch da war nichts zu hören. Trotzdem befanden wir uns in der Nähe, denn Sina sagte: »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich vorgehe?«
    »Nein.«
    »Danke, ich sage Ihnen dann Bescheid.«
    Sie ließ mich stehen. Ich schaute auf ihren Rücken und dachte daran, dass sie für einen Spaziergang hier draußen nicht geeignet angezogen war. Das machte ihr nichts. Sina Franklin war jemand vom alten Schlag.
    Manchmal kam sie mir wie eine Gouvernante vor.
    Ich konzentrierte mich auf die Stille und auchaufdie Gerüche in meiner Umgebung. Es gibt Menschen, die behaupten, Engel riechen zu können, das war mir noch nicht widerfahren. Ich glaubte auch nicht, dass irgendein Duft in der Umgebung von einem Engel stammte.
    Die Heimleiterin war zu einem wandelnden Schatten geworden, der sich plötzlich verkleinerte und wenig später aus meinem Blickfeld verschwunden war.
    Sie war bestimmt nicht in die Erde abgetaucht. Ich rechnete damit, dass sie ein Böschung erreicht hatte, die hinab zum Bachbett führte und wartete darauf, dass sie erschien. Die Brücke entdeckte ich, nachdem ich einige Schritte vorgegangen war und den Blick nach links gerichtet hatte. Zumindest eine Seite malte sich dort wie eine Wand ab.
    Ich vermisste den Gesang der Vögel. Es war sehrstill. In einiger Distanz führte die Straße nach London vorbei. Ich sah sie auch nicht als Strich, aber mir fielen die Scheinwerfer der Autos auf, die wie Geister durch die Dunkelheit huschten, denn von den Geräuschen der fahrenden Wagen hörte ich nichts.
    Sina tauchte wieder auf. Sie musste am Bachrand entlanggegangen sein, denn sie befand sich jetzt näher an der Brücke. Sie hatte mich ebenfalls gesehen und winkte mir zu.
    Es dauerte nicht lange, dann sah auch ich die Böschung, die recht flach zum Bach hin abfiel. Auch sie war mit dem hohen, frischen Gras bewachsen, in das sich zahlreiche Pflanzen hineingedrückt hatten. Jetzt hörte ich auch das Plätschern des Wassers wie ein leises Gemurmel, das von Sinas Stimme überdeckt wurde. »Sie ist hier!«
    Beinahe hätte ich mich erschreckt, so überrascht war ich. »Wo denn?«
    »An der Brücke.«
    Ich reckte den Hals, doch die Frau fasste meinen Arm an. »Kommen Sie mit, John.«
    »Ist okay.«
    Wir glitten beide die Böschung zum Wasser hinab. Der Boden war noch feucht, und auf dem Wasser schimmerten helle Reflexe, wenn es über irgendwelche Steine huschte.
    Ansonsten war es still, und auch Julie Wilson sagte kein Wort. Sie saß am Ufer, mit dem Rücken zu uns. Noch immer trug sie ihr helles Kleid.
    Dabei erinnerte sie ein wenig an ein Gespenst.
    Ich konnte schräg gegen sie schauen. So sah ich auch, dass sie die Beine angezogen hatte. Mit den Füßen fand sie an der Böschung Halt, und ihre Hände hatte sie um die Knie gelegt. Die alte Steinbrücke ragte an ihrer linken Seite auf. Sie stand dort, als wollte sie das Kind vor irgendwelchen Gefahren schützen.
    Natürlich drängte es mich, mit Julie zu reden, aber es war

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