1274 - Der Wolf und das Mädchen
gerichtet.
Bayonne sagte nichts. Er schaute in den Spiegel hinein, in dem ich sein Gesicht gut beobachten konnte. Er war jemand, der sein Erstaunen nicht verbergen konnte, denn ihm fehlte es an schauspielerischen Talenten. Wer so schaute die Augen groß, das Gesicht verzerrt -, der musste glauben, ein Gespenst zu sehen.
So reagierte Bayonne auch weiter. Er wischte über seine Augen hinweg, begann zu lachen, doch es war nichts anderes als ein mit Gelächter unterlegtes Meckern, das erst laut klang, dann aber immer leiser wurde.
Ich sah wieder die Chance, ihn anzusprechen. »Das ist kein Trugbild, Bayonne, das sich in ihrem Kopf zusammengefügt hat. Caroline ist echt. Sie sitzt dort auf dem Hocker, und sie will sich bei Ihnen für alles bedanken.«
»Verdammte Scheiße!« keuchte er.
Ich zuckte die Achseln. »Nennen Sie es, wie sie wollen, Bayonne. Die Tatsachen liegen auf der Hand.«
»Ja, verflucht.« Er sprang plötzlich auf. Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Sein Gesicht lief noch roter an. »Ihr wollt mich fertig machen!«, brüllte er und fuchtelte mit den Armen. »Ihr wollte mich klein kriegen, aber nicht mit mir! Nicht mit mir!«
Ohne weitere Vorwarnung griff er mich an. Er stürzte sich einfach auf mich. Er hätte mich mit beiden Händen erwischt und wie ein lästiges Insekt zu Boden geschleudert, aber ich war schneller als er. Nur schnellte ich nicht in die Höhe, sondern tat etwas ganz anderes.
Ich warf mich nach hinten.
Der Hocker hatte keine Lehne. Ich kam glatt mit dem Rücken auf und verwandelte den Aufprall in eine Rolle rückwärts. Ihren Schwung ausnutzend, schnellte ich wieder hoch, während Bayonne Mühe hatte, seine Bewegungen unter Kontrolle zu bekommen. Er schlug einige Male mit seinen Händen ins Leere und bewegte sich dabei wie ein Affe.
Caroline war aufgesprungen und stand vor ihrem Hocker. Es war ihr anzusehen, dass sie Angst hatte. Beide Hände zu Fäusten geballt, die sie gegen ihre Lippen drückte und so nicht in der Lage war, einen Schrei abzugeben.
»Du bist… du bist…« Bayonne verschluckte sich. Er rannte torkelnd auf Caroline zu, um sie durch Schläge wie ein Spuk zur Seite zu wischen. So war er nicht zu halten.
Ich jagte ihm nach.
Caroline duckte sich schon und hielt die Hände vor ihr Gesicht, als ich Manuel Bayonne erreichte.
Ich packte ihn hart an der Schulter und wuchtete ihn herum. Er fluchte wild, geriet aus dem Gleichgewicht und stolperte nach links auf die Wand mit den Spiegeln zu. Er schaffte es nicht, zu stoppen, fiel nach vorn und prallte auf die Ablagefläche, wo er einige der dort abgestellten Gegenstände zum Tanzen brachte und auch welche abräumte.
Ich sah ihn im Spiegel. Aus seinem offenen Mund rann Speichel. Sein Gesichtsausdruck zeigte eine erschreckende Wildheit, und dann griff er nach einem Stielkamm, der fast so gefährlich war wie ein Messer.
Er hatte jetzt sämtliche Hemmungen verloren. Mit dem Kamm in der Rechten fuhr er herum und griff mich an.
Er stach zu.
Der Stielkamm hätte mich mitten in der Brust erwischt, aber meine Hand war schneller.
Der Schlag fegte den Arm zur Seite. Der zweite hämmerte gegen seine Wange. Bayonne taumelte, er duckte sich, und dann erwischte ihn der dritte Hieb im Nacken.
Der reichte aus.
Auf dem Bauch blieb Manuel Bayonne reglos liegen. Der dritte Hieb hatte ihn ins Reich der Träume geschickt, und ich konnte erst mal durchatmen.
Den verdammten Stielkamm hielt er noch immer fest. Ich nahm ihn an mich und warf ihn in einen Papierkorb. Dann kümmerte ich mich um Caroline Crane. Sie stand vor ihrem Stuhl und wirkte verängstigt. Auseinandersetzungen wie diese kannte sie höchstens aus dem Fernsehen, und ich wollte nicht, dass sie so etwas als normal ansah.
»Bitte, Caro, das musste leider sein. Du verstehst das?«
Sie nickte nur.
»Dann ist es gut.« Ich deutete auf den Bewusstlosen. »Ich begreife sein Verhalten auch nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Ich weiß nicht, was er damit bezweckte. Gewalt ist nicht jedermanns Art und sollte es nicht sein.«
»Er war ja auch im Keller.«
»Das glaube ich dir jetzt. Aber kannst du mir verraten, was er da von dir wollte?«
»Nein, das kann ich nicht. Aber nicht nur etwas zu essen und zu trinken bringen.«
»Das glaube ich auch.«
Sie kam auf mich zu und fasste mich an. Zugleich warf sie mir einen bittenden Blick zu. »Sollen wir gehen, John?«
»Das wäre nicht schlecht, Caro, aber eigentlich warten wir hier auf deine Mutter.«
»Wir können
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