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128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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war.
    »… hier also die Abteilung für experimentelle Physik – und dort die allgemeinen Untersuchungslabore.« Sarah Kucholsky schwieg bedeutsam. Ein leichtes, stolzes Lächeln glitt über ihr zartes Gesicht.
    »Dort wird das Daa’muren-Relikt untersucht?«, fragte Eve.
    Verflixt – musste sie denn unbedingt mit ihrem wohl gerundeten Hintern vor seinen Augen hin und her wackeln?
    Das entsprach ja fast dem Tatbestand der Nötigung…
    »So ist es«, entgegnete die Kucholsky.
    »Sind Sie weiter vorangekommen?«, fragte Rulfan so konzentriert wie möglich.
    »Wir haben die üblichen Materialtests durchgeführt. Der Reif selbst besteht aus einem Bimetall-Kern. Eine uns noch unbekannte kupferähnliche Legierung ist dabei. Das Alter des Reifs wird soeben bestimmt.« Von einem Moment zum anderen wechselte die Stimmung der kleinen Frau zu Begeisterung. Wenn es um Forschungsergebnisse ging, wenn es etwas Neues zu entdecken gab, verschwand jegliche Zurückhaltung und Zeit wurde zur unbedeutenden Nebensache.
    Sie war Wissenschaftlerin durch und durch.
    Eine Glastüre öffnete sich, und ein schlampig gekleidetes, pummeliges Wesen trat summend hervor. Die Frau hielt ein kleines Buch in der Hand und schwebte, ohne zu grüßen oder sich auch nur umzublicken, an ihnen vorbei.
    Maeve McLaird.
    Die Octavian für Ingenieurswesen. Die Reizfigur für den überkorrekten Major Russ Saint Neven, der zu seinem Leidwesen besonders eng mit ihr zusammen arbeiten musste.
    Rulfan konnte förmlich spüren, wie sich der Körper des Mannes neben ihm anspannte. Die beiden waren wie Wasser und Feuer – und wahrscheinlich gerade deswegen das genialste Duo im Bunker von Salisbury.
    Hier das Instinktwesen der Frau, die mit traumwandlerischer Sicherheit technische Problemlösungen liefern konnte. Dort der überpedantische, stets zur Vorsicht mahnende Praktiker, dessen Qualitätsanspruch kaum einmal hundertprozentig Genüge getan werden konnte.
    Das Einzige, das sie verband, war der Hass füreinander, den sie bereits seit Jahren liebevoll pflegten.
    Maeve war an ihnen vorbei. Mit keiner Wimper hatte sie zu erkennen gegeben, dass sie sie überhaupt bemerkt hatte.
    »Alles nur Schwachsinn!«, murmelte sie. »Pure Zeitverschwendung, das fertig zu lesen.« Maeve warf ihr Büchlein achtlos zu Boden und schlurfte in Richtung Gemeinschaftskantine im Zentrum des »Nestes«.
    Ein Geräusch ertönte. Ein Klappern, laut und schnell.
    Rulfan drehte sich zur Seite. Es war Russ Saint Neven, dessen linker Fuß immer heftiger auf den Boden stampfte.
    Plötzlich stürmte der Militär davon, krebsrot im Gesicht, Maeve McLaird hinterher.
    »Was ist…?«, fragte Eve ratlos, während Sarah Kucholsky pikiert zu Boden blickte.
    Rulfan hob das Buch auf – und grinste. Laut las er den Titel vor: »›Das X-Quad – formale, inhaltliche und physikalische Bestimmung einer revolutionellen Weiterentwicklung‹ von Major Russ Saint Neven.«
    »Er hat es geschrieben?« Eve lächelte nun ebenfalls. »Ich verstehe.«
    Sie trat näher an Rulfan heran. Er roch den sanft süßlichen Duft ihrer Haut.
    »Besteht denn nicht die Gefahr, dass die beiden sich…«
    »… die Köpfe einschlagen?«, ergänzte Rulfan grinsend.
    »Nein, Frau Psychologin. Sie haben ein wunderbares Hausmittel, das sie jedes Mal einsetzen, wenn der Druck zu groß wird.«
    »Das wäre?«
    »Sie treiben’s bis zur Erschöpfung – und gehen anschließend erneut mit aller Inbrunst aufeinander los.«
    Rulfan grinste, und es war ein schmutziges Grinsen.
    ***
    »Ah – unsere Gäste«, sagte Grimes, der Octavian für Lebenswerte. »Ich freue mich ganz besonders darauf, mit Miss Neuf-Deville ein wenig fachsimpeln zu können. Während der Besprechung im Octaviat war die Zeit zu knapp. Sie und Rulfan waren nur allzu rasch verschwunden.«
    Dem über hundert Jahre alten Octavian war bis vor kurzem die wichtigste Aufgabe in der Regelung des Alltagslebens der Bunkergemeinschaft zugekommen. Als ausgebildeter Psychologe hatte er das Seelenleben der kleinen unterirdischen Kolonie stets im Auge gehabt, auf Verhaltensauffälligkeiten überprüft und – so weit es ging – korrigiert. Grimes, dessen Nachname anscheinend niemand kannte, war neben seinem Vater das einzige Octaviats-Mitglied, zu dem Rulfan jemals so etwas wie Vertrauen gefasst hatte.
    »Ich verwalte ein schlimmes Erbe«, hatte er ihm, dem halbwüchsigen Jungen, kurz vor dessen Flucht aus dem Bunker gesagt. »Fast fünfhundert Jahre Inzucht, ein stets begrenzter

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